Hans-Christian Ströbele: Grüne Alternativen erkennbar machen

ESM und Fiskalpakt sollen in den nächsten Wochen ratifiziert werden. Es geht darum, ob zur Bewältigung der Finanzkrise der gnadenlose Sparkurs fortgesetzt wird. Aber dieses Sanierungsrezept ist gescheitert. Bevor es unwiderruflich festgeklopft ist, muss umgesteuert werden. Für die Opposition – auch für die Grünen – geht es darüber hinaus darum, ob sie in der existenziellen Frage, wie die Finanzkrise gelöst werden kann, ein eigenes Profil zeigt und Glaubwürdigkeit gewinnt.
ESM und Fiskalpakt sind die Fortsetzung der rigiden Sparpolitik gegen Griechenland für Europa, vielleicht sogar ihr Höhepunkt. In Griechenland scheint diese Politik nicht mehr durchsetzbar. Die Bevölkerung unterwirft sich nicht mehr dem inhumanen Sparen, das Hundertausende in Zukunft ohne Einkommen lässt und in die Armut treibt. Der Sparkurs schadet dem Land auch ökonomisch, wie die negativen Zahlen der wirtschaftlichen Entwicklung zeigen. Das Linksbündnis wird stärker. Entweder es führt die nächste Regierung oder blockiert aus der Opposition heraus die Sparpolitik. Noch pokern der deutsche Finanzminister und Kollegen in der EU. Sie drohen, ohne vollständige Umsetzung des Sparpakets werde es kein Geld mehr geben. Aber ihre Karten sind gar nicht gut. Die Finanzhilfe für Griechenland ist nämlich kein Akt selbstloser Solidarität. Sie wird im Eigeninteresse der Staaten der Euro-Gruppe
sowie ihrer Banken geleistet und im eigenen Land gegenüber der Bevölkerung gerechtfertigt. Ganz überwiegend fließt die Hilfe an die Geldinstitute zur Bedienung von Anleihen. Bei der dortigen Bevölkerung kommt davon wenig an. Eine Pleite Griechenlands kann für alle teuer werden – allein für Deutschland können es ca. 80 Milliarden EURO sein. Nach der Neuwahl in Griechenland und einer Aufkündigung des unsozialen Sparens wird Europa genau rechnen, was kostet uns mehr: die Einstellung der Zahlungen oder deren Fortsetzung.

ESM und Fiskalpakt verfassungsrechtlich zweifelhaft

ESM und Fiskalpakt gehören zusammen. So sind ESM und Fiskalpakt vielfach ineinander verzahnt. Ab 2013 ist der ESM nur noch anwendbar für Länder, die den Fiskalpakt auch ratifiziert haben. Beide haben schwerwiegende Folgen für die Wirtschaft- und Währungsunion. Das Verfahren für die Änderung der EU-Verträge wird nicht eingehalten, weil der Konsens dafür nicht erreicht wurde. ESM und Fiskalpakt sind nur schwer mit dem Grundgesetz zu vereinbaren. Sie
schränken die Souveränität der Vertragsstaaten und die konstitutiven Entscheidungsrechte ihrer Parlamente über den Haushalt, also über Steuern und Abgaben, substantiell und auf Dauer unwiderruflich ein.

ESM – keine ausreichende parlamentarische Mitwirkung

Im ESM und im Gesetz zum ESM-Vertrag ist die parlamentarische Beteiligung und Kontrolle von Entscheidungen über Erhöhungen des Stammkapitals und Stabilitätshilfen durch den Bundestag nicht lückenlos gesichert. Gouverneursrat und Direktorium sind bei allen Beschlüssen beschlussfähig, wenn zwei Drittel der Stimmberechtigten anwesend sind. Auch wenn der deutsche Vertreter einmal abwesend ist, können sie also weittragende Beschlüsse fassen. Dass Deutschland über 27,1 % der Stimmanteile verfügt, hilft dann wenig.
Die Verpflichtungen, welche die Mitglieder des ESM eingehen, sind nicht ausreichend bestimmt. Die Regelungen über den Haftungsumfang sind unvollständig. Die Mitglieder verpflichten sich unwiderruflich und uneingeschränkt,
ihren Beitrag zu leisten. Zwar bleibt grundsätzlich die Haftung eines jeden auf seinen Anteil am genehmigten Stammkapital begrenzt. Aber was ist, wenn ein Mitglied selbst Finanzhilfe benötigt? Dann bleibt dessen Verpflichtung zur Leistung erhalten.
Das gilt beispielsweise auch für Griechenland. Wenn ein Mitglied trotzdem nicht einzahlt, so ergeht ein revidierter erhöhter Kapitalabruf, um sicherzustellen, dass der ESM die Kapitalzahlung in voller Höhe erhält. Dann kommen doch weitere Verpflichtungen auf die Mitglieder zu. Und offen bleibt die Haftung für Defizitsünder und wer eigentlich haftet, wenn ein oder mehrere Vertragspartner Beiträge nicht zahlen wollen oder nicht können.

Fiskalpakt – Schuldenbremse unveränderbar

Auch der Fiskalpakt beschränkt die Haushaltsrechte der Vertragsstaaten und ihrer Parlamente. Die willkürlich festgesetzte Schuldengrenze wird zum unveränderbaren Recht möglichst sogar mit Verfassungsrang. Sie geht weit über die Regelung im Grundgesetz hinaus, die eine Übergangsphase für den Bund bis 2016 und für die Länder bis 2020 vorsieht. Die Möglichkeiten der Staaten zur Kreditaufnahme werden auf Dauer unveränderbar begrenzt. Der Pakt ist in seiner Substanz nicht veränderbar. Daran ändert auch dessen Artikel 16 nichts. Dieser bestimmt lediglich, dass binnen 5 Jahren die notwendigen Schritte unternommen werden, um den Inhalt des Pakts in den Rechtsrahmen der EU zu überführen. Es geht darum, den jetzigen Inhalt in EU-Recht zu überführen. Wird dieses Ziel aber nicht erreicht, gilt der
Fiskalpakt weiter. Das Grundgesetz sieht keine gesamtstaatliche Verschuldensgrenze vor. Nicht einbezogen sind z.B. die Kommunen.

Vor allem sind ESM und Fiskalpakt politisch nicht verantwortbar.

Sie sind nicht zweckmäßig für die Bewältigung der Krise. Sie setzen weiter nur auf Sparen. Damit werden die ökonomischen Probleme verschärft und vor allem große Teile der Bevölkerung in Armut und Elend geführt.
Grüne Alternativen nicht erkennbar Stimmen Grüne im Bundestag dem ESM und Fiskalpakt zu, wären für die
Bevölkerung – wie leider so häufig in den letzten Jahren – grüne Alternativen zur Regierungspolitik nicht zu erkennen. Das fatale Signal nach außen wäre dann wieder: Die Grünen haben auch keine andere Lösung als die Koalition. Sie machen alles mit. Und das ausgerechnet bei einer Politik, die den Menschen unheimlich ist und ihnen Angst macht.
An solcher Unterscheidbarkeit gegenüber der Regierung fehlte es den Grünen in der Vergangenheit ja nicht nur bei Entscheidungen über Kriegseinsätze der Bundeswehr. Sie fehlte auch bei Hilfspaketen für Griechenland und Rettungsschirmen, die mit immer neuen unfassbaren Hunderten von Milliarden Euro an Steuergeldern ausgestattet werden. Es ist gar nicht so, dass die Grünen dazu keine Meinung und keine eigenen Konzepte haben. Nein, in Papieren und Entschließungsanträgen für Debatten im Bundestag steht viel Richtiges an Forderungen und Schlussfolgerungen auch zu diesen Themen, zu unverantwortlichen Sparauflagen und Investitionsprogrammen. Nur diese kennt kaum einer. Denn wer liest schon Entschließungsanträge.
Entscheidend ist und in der Öffentlichkeit wird wahrgenommen, wie die grüne Fraktion im Bundestag abstimmt. Grüne Alternativen zur Politik der Regierungskoalition werden nicht erkennbar, wenn die Fraktion den Regierungsentwürfen zustimmt wie CDU/CSU, FDP. Was nützt es da, wenn die SPD sich genauso verhält. In den Debatten im Parlament wird noch ein wenig polemisiert und kritisiert. Dann aber stimmt die Fraktion den Regierungsvorlagen zu.
So war es alle Jahre wieder: bei der Abstimmung über Kriegseinsätze der Bundeswehr, über die Hilfspakete für Griechenland und den Euro-Rettungsschirm EFSF. So droht es leider wieder zu sein beim Fiskalpakt und ESM. Bei der Bevölkerung kommt an, dass alle einer Meinung und einig sind. Echte Alternativen und Unterschiede werden nicht erkennbar.

Grüne Glaubwürdigkeit

Den Vorsprung an Glaubwürdigkeit in der Politik hatten und haben wir in der Bevölkerung nicht etwa, wie manche meinen, weil die Fraktion geschlossen abstimmt. Nein, weil grüne politische Alternativen in vielen Bereichen der
Gesellschaft, für die wir Jahrzehnte verhöhnt und verlacht wurden, sich als so fortschrittlich und richtig erwiesen haben, dass sie inzwischen von fast alle Parteien übernommen wurden.
Es war nicht nur die grüne Forderung nach Abschaltung der AKWs, die nach Fukushima unübersehbar richtig war. Als die Hälfte der AKWs fast über Nacht abgeschaltet wurde, ging das Licht nicht aus und die Wirtschaft boomte. Den letzten wurde klar, dass es auch ohne AKWs in Deutschland und sogar in Japan geht. Die Grünen gehörten zu denen, die das immer gesagt hatten und von den anderen deswegen lange für verrückt erklärt wurden. Die Mehrheit der Bevölkerung erkannte jedoch, dass die Grünen immer wieder ihrer Zeit voraus waren: etwa mit den Forderungen nach Abschaffung der Wehrpflicht, nach der Anerkennung Deutschlands als Einwanderungsland, der Änderung des Staatsbürgerechts, der gleichgeschlechtlichen Partnerschaften und der Einführung der Frauenquote. Immer wieder haben Grüne allen Unkenrufen zum Trotz Recht behalten.
Sogar die Erfindung der Tobin- oder Finanztransaktionssteuer wird den Grünen heute gutgeschrieben, obwohl sie sich tatsächlich nur durch attac mühsam davon überzeugen ließen, dass diese Steuer machbar und richtig ist. Inzwischen scheinen fast alle wie selbstverständlich dafür zu sein: bis hin zum Finanzminister der CDU und der Kanzlerin. Allen geht die Forderung locker von der Zunge. Keiner sagt mehr, wir seien Spinner, die nichts von den komplizierten Finanzkreisläufen verstehen und einem Vulgär-Antikapitalismus huldigen.
Das Richtige zu entwickeln, standhaft gegen alle Anfeindungen zu vertreten – und damit auch Recht zu behalten, das hat die Glaubwürdigkeit der Grünen geschaffen. Lange Jahre durchgehalten zu haben gegen alle Anfeindungen, gegen Hohn und Spott der anderen Parteien, das brachte den Vorsprung an Glaubwürdigkeit. Das machte den Unterschied und die Grünen zur unverwechselbaren Alternative. Es war nicht nur die schreckliche Katastrophe von Fukushima. Sie war vielleicht nur eine Art Katalysator für die anderen Erkenntnisse.
DAMIT hatte sich die Partei in allen Teilen der Bevölkerung empfohlen, nicht durch Anbiedern an eine wie immer geartete Mitte – sogar bei Protestwählern. Das führte zu dem Höhenflug in den Umfragen und wirkt noch heute fort.
Inzwischen aber fehlt die glaubwürdige grüne Alternative im Bundestag in wichtigen Bereichen der Politik. Sie ist jedenfalls nicht erkennbar. sie verbirgt sich allenfalls in Entschließungsanträgen.
Dadurch bekommen auf einmal andere politische Kräfte ihre Chance: allein damit, dass sie unbefangen und unbedarft die geschlossene Gesellschaft der „Alteingesessenen“ im Bundestag aufbrechen und Rituale im Parlament in Frage stellen, für die in der Bevölkerung das Verständnis fehlt. Die Forderung nach Transparenz scheint fast schon zu reichen, um gewählt zu werden. Als die Piraten nach den letzten Landtagswahlen erklärten, einige aus ihrer neuen Fraktion könnten für eine rot-grüne Regierung stimmen und deren Regierungschef mitwählen, war das nicht nur nett, sondern auch parlamentarisch demokratisch. Vor allem weil vorher nicht erst verhandelt wurde, was sie dafür kriegen. Kaum
vorstellbar, dass alteingesessene Parlamentsparteien so etwas erklären würden. Warum eigentlich nicht? Die meisten sind zu gefangen in den Ritualen des eingefahrenen Parlamentsbetriebs.
Die Grünen könnten wieder zu alter Frische zurückfinden und attraktiver werden, wenn auch sie das Eingefahrene im Parlament in Frage stellen und unbeschwert auch Anträgen und Gesetzentwürfen anderer Parteien einfach zustimmen, wenn Richtiges darin steht.
Viel wichtiger aber wäre für Profil und Glaubwürdigkeit, dass sie mutig ihre Alternativen formulieren und dazu bei Abstimmungen im Parlament auch konsequent stehen: indem sie gegen Regierungsvorlagen, die diesen Alternativen nicht genügen, klar mit NEIN stimmen.
Denn mit einem JA zu verfassungsrechtlich zweifelhafter, unabänderlicher und unsozialer Sparpolitik werden die Grünen auch nicht zu den besseren Europäern.

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  1. […] dafür hätten Sie unsere Stimmen.”). Vier Wochen später meldet sein Kollege Ströbele verfassungsrechtliche Bedenken an: “ESM und Fiskalpakt sind nur schwer mit dem Grundgesetz zu […]

  2. […] dafür hätten Sie unsere Stimmen.”). Vier Wochen später meldet sein Kollege Ströbele verfassungsrechtliche Bedenken an: “ESM und Fiskalpakt sind nur schwer mit dem Grundgesetz zu […]

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