Zur Geschichte des Freihandels

von Werner Hager, 11.7.13
Etwa seit Februar 2013 berichtete die Presse in Deutschland über Pläne zur Bildung einer “Freihandelszone” zwischen den Vereinigten Staaten von Amerika und der Europäischen Union.
Überlegungen zu diesem von der Kanzlerin Angela Merkel schon länger verfolgten Projekt rücken nun als Spielball politischer “Deals” in das öffentliche Bewusstsein. Verhandelt wird dabei vor allem, Verhandlungen zur Gründung einer solchen Freihandelszone gegen Einstellung der US-Schnüffelpraxis gegen die Europäische Union “einzutauschen”.
Die Gründung der Freihandelszone wurde im Frühjahr des Jahres bereits martialisch als “Wirtschafts – NATO” bezeichnet, womit gemeint ist, die USA und Europa mögen sich gemeinsam gegen den “Angriff” der aufstrebenden Wirtschaftsnationen China und Indien positionieren. Ein Blick in die Geschichte des Freihandels möge der Untersuchung dieser aktuellen Entwicklung dienen.
Historische Einordnung
Der Freihandel ist historisch der Phase des liberalen Kapitalismus zuzuordnen. Er folgte der protektionistischen Phase des merkantilen Kapitalismus.
Anspruch des Liberalismus war es, Menschenrechtsökonomie zu sein, mit der früheren Gewaltgeschichte zu brechen, die sich als Ökonomie des ungleichen Tausches gezeigt hatte. In der liberalen Phase wird Reichtum als Arbeitswert, nicht mehr einfach als Edelmetall verstanden.
Liberale Theoretiker wie Adam Smith oder David Ricardo vertraten durchaus kosmopolitische Ansätze von Handel und Produktion. Erst die Kritik der von ihnen entwickelten Politischen Ökonomie zeigt, dass die bisherige Gewaltgeschichte in diesen ökonomischen Ansätzen weiterhin reproduziert wird.
Beendet wird diese Phase des kosmopolitischen Liberalismus durch den Imperialismus, zuerst durch die Schutzzoll-Konzeption Friedrich Lists im “Geschlossenen Handelsstaat”. Diese Entwicklung wurde dann durch die marxistische Imperialismustheorie, später die Kritik des autoritären Staates reflektiert.
Der Liberalkapitalismus wandelt sich dabei zum Monopolkapitalismus, die Staaten agieren verstärkt politisch, Geschichte wird wieder offen zur Gewaltgeschichte.
Der liberale Kapitalismus transportierte eine Utopie der Menschenrechte, der Vernunft, also der vernunftgemäßen Erkennbarkeit und Einrichtbarkeit der Welt, die von den späteren nationalen Liberalismen, zu denen auch der heute dominante Neoliberalismus gehört, striktestens bekämpft wird.
Weltmarkt
Freihandel ist ein Phänomen des Weltmarktes. Der Weltmarkt war von vorne herein der Ort, an dem sich der Kapitalismus, nämlich der merkantile bildete. Der Weltmarkt bildete einen Raum der Freiheit, den die Territorialstaaten nicht beherrschen konnten. Die sich in ihm bildenden Prinzipien des Handelskapitalismus werden in der liberalen Phase in die Territorialstaaten hinein als Industriekapitalismus übernommen. Freihandel entspricht dem Interesse einer Industrie, die billige Rohstoffe wünscht und gleichzeitig die Absatzmärkte zu erweitern sucht. Gegenmodell sind protektionistische Tendenzen, die nationalen Industrien einen Schutzraum zur Entwicklung bieten wollen.
Smith und Ricardo
Die beiden Theoretiker des Liberalismus formulierten das Konzept des Freihandels. In Abgrenzung von der edelmetallorientierten Konzeption einer aktiven Handelsbilanz vertritt Adam Smith die These der absoluten Kostenvorteile. Da für ihn Reichtumsproduktion durch Arbeit erfolgt, ist internationale Arbeitsteilung sinvoll, erhöht den “Wealth of Nations”. Allerdings benötigt ein teilnehmendes Land einen Kostenvorteil gegenüber den übrigen. Ricardo entwickelt dies zur Theorie der komperativen Kostenvorteile weiter, für ihn ist Handel nicht nur im Fall absoluter Kostenvorteile sinnvoll, sondern bereits bei relativen Kostenvorteilen zwischen zwei Ländern.
Die Corn-Laws
Die Corn Laws waren Zollgesetze für Getreide in England zwischen 1815 und 1846, die billige Getreideimporte besteuerten und das Ziel hatten, Abhängigkeiten von Getreideimporten zu verhindern. Der Kampf um ihre Abschaffung durch die Anti-Corn-League war ein Sieg liberaler städtischer Kreise. Karl Marx hielt 1848 eine Rede über die Frage des Freihandels. Das Ergebnis seiner Analyse ist ambivalent. Freihandel fördert die Entwicklung des Kapitalismus, stärkt gerade die Industrie gegenüber den Grundbesitzern und wird vom Industriekapital betrieben, um die Arbeitslohne senken zu können. Das Wort “Freiheit” bezieht sich eben nur auf die Freiheit des Kapitals, nicht der Menschen. Während Marx den Freihandel kritisiert, lehnt er die Zollsysteme ab. Der Vorteil des Freihandels sei, dass dieser zumindestens die Nationalitäten zersetze und die kapitalistische Dynamik auf die Spitze treibe. Ähnliche Formulierungen verwendet Marx ebenfalls im Kommunistischen Manifest.
Spätere Entwicklung
Anders als in der liberalen Phase des Kapitalismus setzt später eine starke Monopolisierung ein, die Marx allerdings bereits angekündigt hatte.
Die Debatte ist hier, ob der Freihandel eine Alternative zum Imperialismus darstellte oder diesem nicht eher historisch den Weg ebnete. Der Imperialismus stellte eine Krisenbearbeitungsstrategie dar, der die nach der Theorie der Freihandelsbefürworter undenkbaren Krisen, insbesondere auch Handelskrisen bearbeitete.
Eine den Liberalen des 19. Jahrhunderts nahestehende Position stellen die heutigen Modernisierungstheoretiker dar. Eine Gegenposition zu diesen stellte die Dependenztheorie dar, die Unterentwicklung aus einem weiterhin ungleichen Tausch erklärt.
Im 20. Jahrhundert
Die zweite Hälfte des 20. Jahrhunderts war geprägt durch eine Reihe von Handelsabkommen wie das General Agreement on Tariffs and Trade
(GATT) sowie die Folgeabkommen GATS und TRIPS.
Um diese fanden bedeutende soziale Kämpfe statt.
In Amerika bildete sich mit der NAFTA 1994 ein großer Freihandelsraum. Anders als die EWG/EU gibt es in diesem keine Tendenzen zur Herausbildung supranationaler Regierungsfunktionen.
zum Weiterlesen:
G. Stapelfeldt: Der Liberalismus, Freiburg 2006.
G. Willing/ M. Krätke: Freihandel; in: HKWM.
E. Hobsbawm über das Lange 19. Jahrhundert

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