Grünes Wachstum – eine Fata Morgana?

von Hartwig Berger
Die Macht einer Weltanschauung wie dem Fortschrittsdenken zeigt sich nicht durch die Antworten, die sie zu geben weiss, sondern durch die Fragen, die sie abzudrosseln versteht.
Gunther Anders
 
Die Idee eines grünen Wachstums halte ich für eine Hoffnungen erweckende Spiegelung, die sich jedoch auflöst, wenn man sie genauer fassen und stichhaltig machen will. Diese These will ich im folgenden erläutern und begründen. Dabei beziehe ich mich insbesondere auf die (von mir „ökoliberal“ genannte) Position von Ralf Fücks, einem der Vorsitzenden der Heinrich-Böll-Stiftung. Meine Argumentation stärkt allerdings die alternative ( von mir „ökoklassisch“ genannte) grüne degrowth Strategie nur prinzipiell, da die Schwierigkeiten ihrer gesellschaftlichen Realisierung schlicht nicht zu bestreiten sind. Diese Schwierigkeiten zu überwinden, stellt eine bleibende, weiterhin ungelöste Aufgabe dar. Aus diesem Grund beschränkt sich Teil II. meines Artikels zur Idee einer wachsenden Stadt, am Beispiel Berlins, auf den Vorschlag einer „piecemeal-Strategie“, die eine Positionierung in der offenen Debatte um grüne growth- oder degrowth-Politik aus pragmatischen Erwägungen vermeidet.

  1. grünes Wachstum – geht das?

Die Fixierung auf ein wirtschaftliches Wachstum ohne angebbare und angegebene Grenzen ist ein inzwischen weltweit vorgetragenes „Mantra“, für eine überwältigende Mehrheit von Politiker*innen und Ökonomen eine Art Glaubensgewissheit, die – ähnlich religiösen Gewissheiten – gemeinschaftlich unhinterfragt vertreten und zu einem politischen Leitziel erhoben worden ist.[1]
Es irritiert, wie wenig das Wachstumsmantra weltweit in Frage gestellt oder doch zumindest ergebnisoffen ernsthaft zur Diskussion gestellt wird. Die ungebremste Steigerung von Kapitalumsätzen und die verselbständigten globalen Finanzmärkte stehen fast paradigmatisch dafür, dass moderne Gesellschaften immer mehr Hochrisiken (Ulrich Beck) generieren, sie aber immer weniger überblicken und steuern können. Dass fortschreitendes Wirtschaftswachstum zu negativen und sich weiter steigernden Umweltfolgen führt, ist vielfach belegt. Ebenso können zahllose Beispiele dafür angeführt werden, dass Wachstum die Schere sozialer Ungleichheit erhöht und häufig Armut nicht lindert sondern steigert. Gleichwohl nimmt die Beunruhigung darüber keineswegs zu[2], eine wichtige Voraussetzung dafür, dass der Weg abwärts in sich steigernde Risiken fortgesetzt wird.
Neben einer fortbestehenden wachstumskritischen Diskussionskultur. hat sich in den letzten Jahren eine Art Kompromissbildung entwickelt und teilweise durchgesetzt, die gerne als „green new deal“ oder „green economy“ etikettiert wird. Im Kern werden hier zwei Positionen vertreten :

  • Es ist notwendig und möglich, weltweit wie innerhalb von Regionen und Ländern, die Wirtschaft und den Kapitalmarkt so umzugestalten, dass Umweltrisiken vermindert, katastrophale Entwicklungen wie ein Klimawandel mit points of no return verhindert und zugleich mehr soziale Gleichheit und Gerechtigkeit bei Sicherung eines humanen Lebensstandards hergestellt wird.
  • Allerdings kann eine solche Entwicklung nur über ein weiteres starkes wirtschaftliches Wachstum erreicht werden.

Diese auch in vielen Umweltorganisationen verbreitete Position nenne ich im folgenden „ökoliberal“. Innerhalb der deutschen Grünen wird sie am öffentlichkeitswirksamsten von Ralf Fücks vertreten[3]. Allerdings ist eine sachliche Auseinandersetzung aufgrund seiner teilweise heftigen und unzureichend begründeten Polemik gegen die von mir hier als „ökoklassisch“ titulierte Wachstumskritik erschwert, mit der die Grünen vor 36 Jahren die politische Arena betreten haben.
Im folgenden setze ich mich mit den zentralen Argumenten für eine ökoliberalen Wachstumsstrategie auseinander. Ich sehe im Kern die folgenden fünf:

  • A. Angesichts der Armut und dem Brutto-Inlandsprodukt kann man von der Mehrheit der Staaten nicht erwarten, dass sie nicht auf massive Steigerung des BIP zielen und dem Wirtschaftswachstum Schranken setzen. (Allerdings gilt, kaum bestreitbar, dass mit der Steigerung des BIP nur in wenigen Ausnahmestaaten (wie Brasilien, Bolivien, Uganda) die Schere der sozialen Ungleichheit verringert wurde)
  • B. Gerade der Umstieg in eine Produktionsweise, die ökologische Nachhaltigkeit verspricht, macht erhebliche Investitionen – z.B. in eine umweltverträgliche Energieversorgung und –wende – unabweislich. Insoweit ist eine grüne Ökonomie im engeren Sinn eher wachstumsfördernd.
  • C. Die wachsende Weltbevölkerung, vor allem aber die Lebensweise der weltweit zunehmenden Mittelklassen mit guten finanziellen Ressourcen, führen zu einem steigenden Konsumbedarf, der sich an den in den altindustriellen Ländern gesetzten Standards ( u.a. Autobesitz, Flugreisen, Wohnraumbedarf, materielle Besitzansprüche aller Art) orientiert. Hier auch nur mittelfristig eine Umorientierung auf material- und mobilitätsärmere Lebensstile zu erwarten, erscheint realitätsfremd.
  • D. Technologische Entwicklungen der letzten Jahrzehnte lassen erwarten, das wirtschaftliche Entwicklung mit einer absoluten und sich schrittweise steigernden Verringerung des Material- und Ressourceneinsatzes möglich erscheint.
  • E. Mit einem noch in Anfängen befindlichen Ansatz der „Allianztechnik“ und der „Bioökonomie“ lässt sich wirtschaftliches Wachstum mit einem harmonischen Umweltverhältnis und mit Ressourcenschonung durchaus vereinbaren.

 
Von den genannten Gründen trifft Begründung 1. nur eingeschränkt zu:
Das gesamtwirtschaftliche Wachstum hat die Massenarmut in den meisten Weltregionen kaum gelindert, geschweige denn beseitigt. Vielmehr hat häufig die wirtschaftliche Modernisierung traditionelle Wirtschaftsweise unterminiert oder zerstört, die bisher eine Versorgung der Menschen durchaus gewährleisten konnten. Eine sozial verträgliche Entwicklung sollte daher weniger auf das BIP fixiert sein, sondern auf eine Stärkung und Sicherung regionaler Ökonomien, die im Abstraktum der „BIP“ nicht zu messen sind. Nur so lässt sich – Vorgriff auf das zweite Thema dieses Essays – die geradezu katastrophale Massenflucht aus ländlichen Regionen in die wuchernden Megastädte eingrenzen.
 
Zu Begründung 3:
Die wachsenden Ambitionen nach mehr Konsum und materiellen Standards unter immer mehr Menschen auf unserem Globus, verbunden mit einer fehlenden Bereitschaft zur Reduzierung solcher Standards in den altindustriellen Gesellschaften, sind unbestreitbar Realität. Daraus folgt zwar, dass ein grün gestaltetes Wachstum höchst wünschenswert ist, jedoch keineswegs, ob und wie es möglich wäre. Die Verallgemeinerung „westlicher“ Konsumnormen hat in jedem Fall eine massive Steigerung des Ressourcen- wie ceteris paribus auch des Energieeinsatzes – zur Folge. Autos lassen sich nicht aus Watte herstellen und sie werden auch nicht ohne Fremdenergie in Bewegung gesetzt. Jede Hochrechnung der gegenwärtigen Standards motorisierter Mobilität in Europa auf andere Weltregionen wird verdeutlichen, dass der Einsatz von Material und Energie damit nicht sinkt, sondern massiv ansteigt. Ähnlich verhält es sich etwa beim Flugverkehr: Selbst wenn einzelne Flugbewegungen – z.B. durch effizienteren Energieeinsatz oder – weniger wahrscheinlich durchgesetzt – niedrigere Flughöhen – weniger umweltbelastend sind, wird der Lebensstil der boomenden global middle class, auf den sich die Ökoliberalen berufen, das wieder zumindest „neutralisieren“, wobei die gegenwärtige Ausgangssituation unstrittig unverträglich ist. In jedem Fall würde sich der materielle Ressourceneinsatz deutlich erhöhen.
Den globalen middle-class-boom zu ignorieren, wäre Flucht vor der Realität. Insofern ist den Ökoliberalen recht zu geben. Nur: Unter Berufung auf diesen Boom für ein weiter wachsendes Wirtschaften zu plädieren führt dazu, dass zugleich die Erhöhung und Generalisierung des materiellen Anspruchsniveaus hingenommen und akzeptiert wird. Damit belegt der Boom gerade nicht die Möglichkeit eines grünen Wachstums, sondern eher das Gegenteil. Das Argument des middle-class-booms stützt nicht die ökoliberale Position, sondern unterminiert sie..
Allerdings hat es mit dem Boom auch die ökoklassische Wachstumskritik um so schwerer. Das Leitbild einer materiell und mobil anspruchsvollen Lebensführung hat sich unstrittig weltweit verbreitet. Die Hoffnung auf schrittweise Ausbreitung maßvoller und als solcher zufriedenstellender Lebensstile bleibt demgegenüber Utopie. Verwirklicht wird sie nur in Randgruppen. Sicher: Die alltagskulturelle habituelle Wandlungsfähigkeit von Menschen ist enorm und ein entsprechender breit wirkender Kulturwandel ist keineswegs auszuschließen – zumal die psycho-sozialen Nachteile der Konsumgesellschaft auf der Hand liegen. Nur gegenwärtig ist das ein bloßes Prinzip Hoffnung, auf dessen Verwirklichung kaum jemand eine ernsthafte Wette abschließt.
 
Begründung 4. des ökoliberalen Ansatzes:
… ist die These einer wirksamen Entmaterialisierung des Wirtschaftswachstums, die dieses innerhalb vertretbarer ökologischer Schranken bannt. In der mir zugänglichen Literatur finde ich die These nur affirmativ vertreten, bestenfalls an einigen Beispielen illustriert, jedoch nicht argumentativ schlüssig belegt. Gänzlich unpassend ist z.B. der gerne vorgebrachte Hinweis auf die möglichen Effizienzsteigerungen im Wirtschaftsprozess, sprich: mit weniger Material und Energie mehr an Resultaten zu erreichen. Effizienzsteigerungen kennzeichnen den Kapitalismus seit seiner Entstehung, ohne dass dieses zur Abschwächung der fatalen ökologischen Folgen geführt hat, im Gegenteil. Elmar Altvater legt das in seinen Schriften überzeugend dar[4]
Versuchen wir das Problem zu quantifizieren: Unterstellen wir, eher niedrig gerechnet, ein weltweites Wirtschaftswachstum von 3%. Würden wir ein Nullwachstum in der Nutzung von Ressourcen –Energie bleibt hier zunächst ausgeklammert – annehmen – müsste die Ressourcenproduktivität pro Jahr um 3% zunehmen, bei einem angestrebten höheren Wachstum entsprechend mehr. Das würde den Marsch in globale Umweltkatastrophen lediglich konstant halten, ihn keineswegs aufhalten. Um ein „grünes Wachstum“ erreichbar zu machen, müsste die Ressourcenproduktivität pro Jahr um mindestens 5% steigen[5]. Nehmen wir als Beispiel , deutlich zu niedrig veranschlagt, an, dass die PKW-Flotte weltweit um lediglich 3% im Jahr wächst. Dann müsste nach bereits 5 Jahren der Ressourceneinsatz in der Autoproduktion auf 77% des Ausgangsjahres sinken, um den Vorgaben eines grünen Wachstums zu entsprechen! Dieser Trend müsste sich in den kommenden Jahren unvermindert fortsetzen, im Jahr 2030 wäre der Materialeinsatz pro Fahrzeug um weit über 50% zu reduzieren. Wer grünes Wachstum predigt, sollte die Möglichkeit einer solchen höchst unwahrscheinlichen Entwicklung auch plausibel darlegen können, sonst ist das lediglich ein unbelegter Glaubenssatz.
Differenzierter hat der englische Ökonom Tim Jackson das Problem eines grünen Wachstums illustriert, wobei er sich auf den Bereich der klimawirksamen Emissionen konzentriert[6]. Er kommt zu Ergebnis, dass bei üblicherweise unterstellten globalen Wachstumsquoten – unter Einrechnung von Bevölkerungszunahme und Einkommenszuwachs – die Kohlenstoffintensität um jährlich 7-9% sinken müsste, um ein Stabilisierungsziel von 450ppm, entsprechend einer maximalen 2 Grad Erwärmung, bis 2050 erreichbar zu gestalten. Ein für grüne Wachstumsbefürworter entmutigendes Ergebnis.
 
Begründung 2 der ökoliberalen Position:
Die aus Klimaschutzgründen vorrangige Energiewende verlangt einen enormen Investitionsschub im Bereich der erneuerbaren Energien und der Energieeffizienz. Hier muss die Wirtschaft boomen, wenn der Niedergang in sich spiralförmig steigernde Klimakatastrophen vermeidbar sein soll.
Diesem zutreffenden Hinweis kann und darf sich gerade die ökoklassische Position nicht entziehen: Für eine zügig, konsequent und weltweit zu vollziehende Energiewende ist eine de-growth Strategie unangemessen, sie wird nur durch eine enorme Steigerung der Investitionen im Sektor der „erneuerbaren“ Energien und den mit diesen verbundenen Wirtschaftsbereichen zu erreichen sein. Wird also die neoklassische Wachstumskritik durch das geradezu überlebenswichtige Vorhaben demontiert, eine ökologische Grenzziehung im wichtigsten Feld von globalen Risiken, dem Klimawandel, zu erreichen?
Dieser Selbstwiderlegung entgeht der ökoklassische Ansatz nur dann, wenn er die Wachstumskritik relativiert: Eine Umgestaltung, welche fossile und nukleare vollständig durch „erneuerbare“[7] Energieträger und eingeschränkte Energienutzung substituiert, zwingt zu einem signifikant höheren Einsatz an materiellen Ressourcen. Der Bedarf an Aluminium, Kupfer, Stahl, Beton und seltenen Erden für eine Windkraftanlage ist, relativ zu derselben Leistung, gemessen in Megawatt, um ein Mehrfaches größer als bei fossilen und nuklearen Kraftwerken[8]. Der insoweit steigende Ressourcenbedarf macht es zum einen um so unumgänglicher, die Nutzung von Energie insgesamt zu reduzieren. Eine vollständige Umstellung auf solare Energiesysteme, und zwar schnell, ist unabweislich, um den Klimawandel doch noch zu begrenzen. Doch zu leisten ist das nur, wenn der weltweite Energiebedarf – anders als die gängigen Szenarien das darstellen – zum mindesten stagniert, wahrscheinlicher aber schrumpft. Nun kann wahrlich nicht erwartet werden, dass in Weltregionen mit Entwicklungsbedarf der Energiebedarf schrumpfen oder gar stagnieren soll – im Gegenteil. Die Leistung der Energiebedarfsschrumpfung wäre also ausschließlich in den Ländern mit gegenwärtig hohem Energieniveau zu leisten.
Zum zweiten erhöht eine konsequente solare Energiewende aus ökologischen Gründen, den Zwang, in anderen Wirtschaftsbereichen eine Entmaterialisierung der Produktion noch weiter zu steigern. Ein so verstandener green new deal widerlegt also nicht die ökoklassische Wachstumsskepsis, sondern macht Wachstumskritik und Entmaterialisierung in den nicht direkt energetischen Wirtschaftsbereichen um so notwendiger. Ein „green new deal“ in puncto Energie wäre demnach mit einer de-growth“ oder zumindest „no-growth“-Strategie in anderen von materiellen ressourcen abhängigen Wirtschaftsbereichen zu verbinden.
Damit allerdings mündet die Konfrontation von ökoliberaler Wachstumsbefürwortung und ökoklassischer Wachstumskritik in einem Dilemma: Die Ökoliberalen gelingt es nicht, die Vereinbarkeit ihres green new deal mit der Wahrung ökologischer Leitplanken darzulegen. Die Abwärtsspirale in zunehmende Umweltkatastrophen würde lediglich verlangsamt.
Demgegenüber erscheint die ökoklassische Abkehr vom Wachstum zwar als Alternative, allerdings mit Zweifeln der praktischen Umsetzbarkeit behaftet. Wie kann es einen Kulturwandel geben, mit dem die Fixierung von immer mehr Menschen auf der Erde auf immer mehr materiellen Konsum und Mobilität gelöst wird? Können sich weltweit maßvolle Lebensstile durchsetzen, zudem noch binnen weniger Jahrzehnte, um schwerwiegende Klimaveränderungen noch zu vermeiden? Kann es gelingen – und wie – den Energiebedarf in den entwickelten Ländern auf vielleicht ein Viertel des jetzigen Bestandes zu senken, um growth im Energiesektor mit degrowth in der Wirtschaft insgesamt zu vereinbaren? Und schließlich: Können wir uns, und wie, eine weltweite Abkehr der Ökonomie von stetig steigenden Kapitalumsätzen – also den immanenten Wachstumszwang – vorstellen? Oder erscheint es, und wie, möglich, Wachstum konsequent so zu entmaterialisieren, dass immer mehr in Bereichen gewirtschaftet wird, die einen nur geringen Bedarf an stofflichen Ressourcen und an Energie erfordern? Damit würde sich im übrigen die ökoklassische der ökoliberalen Position annähern, mit vergleichbaren Problemen einer Realisierbarkeit.
 
Bleibt Begründung 5 der ökoliberalen Wachstumsbefürwortung, der Hinweis auf eine neuartige „synthetische“ Beziehung von Technik und Natur. Nicht die Knappheit der Ressourcen, sondern die phantastische Produktivität der Natur, der ungeheure Reichtum der Evolution ist die Basis für eine nachhaltige Ökonomie“[9]. Fücks führt im für seine Gedankenführung zentralen Kapitel 5 „Bioökonomie“ eine ganze Reihe vielversprechender Beispiele dafür an, wie ein Lernen aus und mit der Natur, mit Hilfe von Bionik, Biotechnologie oder Biogenetik, für umweltverträgliches Wirtschaften hilfreich werden kann.
Innovative Ansätze in diesem Bereich sind auf jeden Fall förderungswürdig. Jedoch trägt die Berufung auf ihren Wert und ihre Wichtigkeit zur Wachstumskontroverse wenig bis nichts bei. Geben wir uns keinen Illusionen hin. Vorbehaltlich nie auszuschließender Wunder, wird eine Umstellung der Wirtschaft auf eine dominierend allianztechnische (Ernst Bloch) Orientierung eher in Jahrhunderten zu messen sein. Wir stehen mit ihr bestenfalls in den Anfängen und können gegenwärtig keineswegs wissen, ob eine derartige Transformation der Wirtschaft überhaupt realistisch und umsetzbar ist. Im übrigen gesteht Fücks das durchaus zu, ohne daraus allerdings die sich aufdringenden selbstkritischen Konsequenzen zu ziehen: „Wir kennen die Möglichkeiten noch nicht, die sich aus der Kombination der Kreativität der Natur mit dem menschlichen Geist, aus der Synergie von Biosphäre und Noosphäre (dem weltweiten Netz der digitalen Informationssysteme) ergeben.“[10] Eben!
Dem allianztechnischen Wachstumskonzept ist ein geradezu naiver Fortschrittsglaube vorzuhalten. Es sind zudem starke Zweifel angebracht, dass eine mit dem Wachstumsanspruch liierte Bioökonomie umweltverträglich sein kann. Bereits gegenwärtig kommt die Beanspruchung organischen Materials einer destruktiven Plünderung unseres Planeten gleich. Unter diesen Umständen für eine Wirtschaft zu plädieren, deren Basis die Nutzung von organischem Material sein soll, ist zumindest leichtfertig und eher das Gegenteil einer nachhaltigen Entwicklung.
Im Lichte der gegenwärtigen weltweiten Nutzung von Biomasse, von der Energiegewinnung bis zur Kosmetik, bleibt völlig unverständlich, wie eine mit dem Wachstumskonzept noch ausgeweitete Nutzung die bekannten schwerwiegenden ökologischen wie sozialen Auswirkungen nicht weiter steigern würde. So plädiert Ralf Fücks allen Ernstes dafür, ein global jährlich um 5% wachsendes Flugzeugaufkommen – schleichende Umweltkatastrophe am Erdhimmel – durch Kraftstoff aus „Raps, Palm- oder Jatrophaöl“ klimaverträglicher zu machen[11]. Zwar macht er insgesamt zur Voraussetzung, dass die Umweltbilanz einer Energiegewinnung aus Biomasse „eindeutig positiv ausfallen“ muss[12], wie sie dann allerdings in seiner Zukunftsökonomie irgendeine andere als lediglich marginale Rolle spielen soll, wird nicht belegt.
So liegt nach allgemeiner Einschätzung fast aller Fachleute die gegenwärtige EU-Quote für biogene Kraftstoffe unverträglich hoch; sie hat schwerwiegende Umweltfolgen mit der Ausbreitung des Maisanbaus und führt zudem über die Importe zu den bekannten Zerstörungen in Drittländern, wie die Umwandlung von Wald- in Weideland, die Vertreibung bäuerlicher Bevölkerung vom Land und die Erhöhung von Nahrungsmittelpreisen. Aus sozialökologischer Sicht stehen alle die Zeichen auf massive Minderung des Einsatzes von biogenen Energien, sie sind unvereinbar mit irgendeinem Wachstumskonzept. Würden wir z.B. in Europa in begrenztem Maße biogene Energien aus dem Anbau von multikulturellen Blühpflanzen im ökologischen Anbau statt „konventionell“ bewirtschaftetem Mai und Raps gewinnen, würde sich der erzielbare Ertrag pro Fläche weit mehr als halbieren[13]. Und wir hätten dann noch nicht ansatzweise das Problem gelöst, dass die EU mit ihrem überhöhten Fleischbedarf enorme Flächen in Drittländern mit den bekannten schlimmen Konsequenzen in Anspruch nimmt[14].

  1. Können Städte grün wachsen?

Mit „wachsender Stadt“ oder „Wachstum in der Stadt“ wird gegenwärtig zumeist eine Zunahme an Einwohnern und, damit verbunden, eine zunehmende Beschaffung von neuem Wohnraum verstanden, sowie von Gewerbe, in und mit dem mehr Menschen Beschäftigung finden. „Grün wachsen“ würde dann heißen: Wir engagieren uns mit unseren Initiativen und politischen Vorschlägen dafür, dass sowohl bestehende wie neue Wohnorte und Gewerbe sowie dazu erforderliche Infrastrukturen (von Bildung bis Verkehr) umweltgerechter gestaltet werden.
In der Ausgestaltung einer solchen Schwerpunktsetzung als Grüne sollten wir aber vermeiden, das mit der generellen Wachstumsdebatte zu vermischen und uns so auf die Seite der gläubigen Wachstumsbefürworter zu schlagen. Auf Basis der dargelegten Argumente gegen die ökoliberale Position erscheint das als Selbstbetrug , der uns früher oder später um die Ohren fliegt. Unser spezifisch öko-orientierter Politik-Ansatz wird dann mehr und mehr zur Fassade.
Genauso verfehlt wäre es allerdings, in der Stadtpolitik – zumal gerade dann, wenn immer mehr Menschen hier kommen und leben wollen – eine degrowth-Strategie zu propagieren. Die Debatte um green growth versus degrowth wird nicht auf dieser Ebene entschieden – zumal, wie in I. dargelegt, an der Realitätstüchtigkeit beider Positionen starke Zweifel angebracht sind. Als „Grünen“ Ansatz plädiere ich hier für eine piecemeal-Strategie[15], die den Anliegen der Ökoklassiker in kleinen, dafür aber realisierbaren Schritten entgegenkommt, ohne mit zu hoch gesetzten Ansprüchen zu erschlagen und sich den Vorwurf der Realitätsferne einer normativen Politik einzuhandeln.
An ein paar Punkten sei das erläutert:

  • Eine Stadt „wächst“ nicht dadurch, dass mehr Menschen in ihr leben. „Wachsen“ würde sie durch weitere räumliche Ausbreitung, die nur partiell durch knapper werdenden Wohnraum bedingt ist. Verantwortungsvolle und ökologisch vertretbare Stadtpolitik sucht gerade die Ausweitung und Zersiedlung, deren negative Auswirkungen überall in Europa und der Welt studiert werden kann, zu begrenzen. Voraussehbar wird das in Berlin in den kommenden Jahren allein dadurch aktuell, dass unsere Nachbargemeinden mit niedrigeren Grundstückspreisen und dem Ziel, ihr Steueraufkommen zu verbessern, jede Menge an neuem Bauland anbieten werden. Hier sollten wir als Grüne versuchen gegenzusteuern.
  • Die Zunahme an Einwohnern sollten wir daher ebenfalls nicht als „die Stadt wächst“ beschreiben, sondern als von uns weiter propagierte Offenheit der Stadt insbesondere für Menschen, die als Flüchtlinge zu uns kommen und Wohnung, Bildung und Arbeit benötigen.
  • Wenn wir der Zersiedelung gegensteuern wollen, ist räumliches Zusammenrücken angesagt. Eine weitere Ausbreitung des Wohnraumbedarfs pro Person ist unter diesen Umständen nicht zu vertreten (durchschnittlich ist der genutzte Wohnraum pro Person in Berlin während der letzten 25 Jahre von knapp 30 qm auf 40 qm gestiegen[16]). Es wird Verdichtungen in einer sich nicht anarchisch ausbreitenden Stadt geben müssen.
  • Damit wird Berlin nicht „grün wachsen“, sondern es wird zunächst „grün schwinden“. Machen wir uns da keine Illusionen und pflegen sie auch nicht im Wahlvolk. Die Wirklichkeit der kommenden Jahre würde das ohnehin nur als leeres Gerede, als ein leeres Wahlversprechen enttarnen.
  • Bezüglich der Grünflächen in der Stadt sollten wir, neben den immer richtigen Bemühungen um flächensparendes Bauen, den Schwerpunkt klar auf Aspekte der Qualität legen. Dazu gehören:
    • Wo irgend möglich, werden Flächen in der Stadt entsiegelt, im übrigen auch, um die Versickerung von Regenwasser zu steigern
    • Begrünungsaktionen auf, an und um möglichst viele Gebäude
    • Grünkorridore in der Stadt schützen und erweitern; dazu insbesondere Flussläufe renaturieren
    • Grünräume naturnah pflegen und dazu möglichst die umwohnenden Menschen aktiv einbeziehen
    • Bemühungen um Naturschutz und den Erhalt von Biodiversität steigern
  • In der Wirtschaftspolitik sollten wir den Schwerpunkt auf Schritte hin zu einer Kreislaufökonomie setzen, die den Durchsatz von Rohstoffen, bearbeitetem Material und Energie deutlich reduziert. Zum zweiten sollten wir Forschungen und Entwicklungen in Allianztechnik und Bioökonomie befürworten und fördern, ohne dabei in de „Wachstunsfalle“ (vgl. Teil I. des Essays) zu stolpern. Zugleich sollten wir einen von der Stadt unterstützten Aufbau eines Wirtschaftssektors der Reparatur und der Förderung der Langlebigkeit von Produkten propagieren. Dieser quasi neue Sektor, der mit dem geringeren Import von Stoffen auch Umweltbelastungen senkt,. bietet zudem gute Chancen, um auch Flüchtlingen und arbeitslosen Einwanderern der inzwischen dritten Generation Arbeitsplätze zu schaffen.
  • Im übrigen sollten wir in puncto Wirtschaft stark auf Ökovermarktung und die Regionalisierung von Wirtschaftsbeziehungen setzen.
  • der globalen Ökologie halte ich es für sinnvoll, mit den Konzepten „schrittweise Verringerung des ökologischen Fußabdrucks unserer Stadt“[17] und dem Anspruch einer vollständigen Dekarbonisierung zu arbeiten. Das Konzept einer „Klimaneutralität“, mit dem die den Senat stellenden Parteien in den Wahlkampf ziehen werden, eröffnet zu viele Ausflüchte und Ausklammerungen (z.B. des Flugverkehrs, den „Emissionsrucksack“ von Produkten, die außerhalb Berlins hergestellt wurden), die wir kritisch aufzeigen können.
  • Zum Thema Verkehrswende gibt es eine breite Debatte und Palette an Grünen Vorschlägen, denen ich nichts hinzufügen kann. Allerdings sollten wir hier die Signalwirkung ansprechen, die das haben könnte. In Teil I wurde der global-middle-class-boom angesprochen: Die Ansprüche an gesteigerter individueller und motorisierter Mobilität orientieren sich am Vorbild der „westlichen“ Gesellschaften. Auch darum wird es wichtig, an der Verkehrsgestaltung einer weltbekannten Stadt zu zeigen, dass es auch anders geht.
  • Schließlich kommen wir, um einigermaßen glaubwürdig zu bleiben, nicht umhin Vorschläge zu präsentieren, die geeignet sind, dem ständig wachsenden Flugverkehr Schranken zu setzen.
  • Last, but not least: Alle Initiativen und Bewegungen in der Stadt, die sich in Lebensstil und Lebensauffassung von der Konsumgesellschaft absetzen, sollten von uns besonders ermutigt, gefördert und unterstützt werden. Es muss glaubwürdig dargelegt werden können, dass Grüne Stadtpolitik ihrem Anliegen am deutlichsten entgegenkommt.

Hartwig Berger (berger@oekowerk.de)


 
[1]Im folgenden verstehe ich unter Wirtschaftswachstum zunächst nicht eine Zunahme von Gegenständen, Apparaten oder sonstigen Gebrauchswerten, sondern das Wachstum einer reinen Finanzgröße, den Umsatz von Kapital. Die zunehmende Nutzung materieller Ressourcen ist üblicherweise eine Folge des Kapitalwachstums..
[2] Vgl. bereits Günther Anders, Die Antiquiertheit des Menschen, Bd.I, „Die Wurzeln unserer Apokalypse-Blindheit“
[3] Ralf Fücks, Intelligent wachsen, München 2013.
[4] Z.B. Altvater/Mahnkopf, Grenzen der Globalisierung, Münster 1997, teil V: Globus und Planet.
[5] Vgl. Holger Rogall, Ökologische Ökonomie, Wiesbaden, 2. Aufl. 2008, Kap.4 „Neue Umweltökonomie“
[6] Tim Jackson, Wohlstand ohne Wachstum, München 2011, Kap. 5, Der Mythos Entkopplung.
[7] Die Anführungszeichen markieren meine Unzufriedenheit mit dem fest eingebürgerten Begriff „erneuerbare Energien“. Ich halte es für eine Begriffsverwirrung, die völlig unterschiedlichen Energiequellen Sonne, Wind und organische Stoffe damit über einen Kamm zu scheren. Mit Biomasse als Energiequelle sind wir auf den seit Jahrhundertausenden praktizierten „prometheischen“ Weg der Materialvernichtung durch Verbrennung verwiesen, der mit den fossilen Energieträgern endgültig in die Sackgasse geführt hat. Im übrigen setzte sich die fossile Energienutzung, der Ausbeutung der „unterirdischen Wälder“ im Europa um 1800 anfänglich durch, um die fatalen Folgen der Waldvernichtung durch massive Nutzung von Holz als Energiequelle zu beenden. In der Wiederholung solcher historischen Fehler heute einen innovativen Beitrag zum Klimaschutz zu sehen, grenzt an geistige Regression. Holz brauchen wir, sofern genutzt, als Material und damit auch als Speicher von (nicht emittiertem Kohlenstoff), nicht als zusätzliche CO2-Quelle! Energetische Nutzung von Biomasse wird minimales Beiwerk der solaren Energiewende sein, keinesfalls einer ihrer Pfeiler. In globaler Sicht geht es vielmehr darum, die stark überhöhte energetische Nutzung von Biomasse (insbesondere in armen Regionen) deutlich zu verringern.
[8] Berechnungen eines französischen Forscherteams kommen zu folgender Bilanz:
Zum Bau einer modernen Windkraftanlage, verglichen zu einem modernen G(as)uD Kraftwerk werden, relativ zur gleichen Leistung, 11x so viel Aluminium und 2x so viel an Eisen, allerdings nur halb so viel an Kupfer benötigt. Für eine PV-Anlage 130x so viel Aluminium, 19x Kupfer und 3x Eisen.
O.Vidal/N.Arndt/B.Goffé, Metals for a low carbon society“, Nature Geoscience 6,2013.
Sofern wir von einer hohen recycling-Quote (von der Fa. Enercon für Windkraft auf 90-95% geschätzt) ausgehen, wird entscheidend wird sein, ob

  1. die zusätzlichen Materialmengen auf der Erde verfügbar sind und
  2. sie zu aus ökologischer Sicht verträglichen Umständen gefördert und extrahiert werden können.

Bzgl. a. sind für Kupfer und bei allen genannten Ressourcen bzgl. b. erhebliche Zweifel angebracht, insbesondere bei Förderung von Bauxit und der Gewinnung von Aluminium, bei gleichseitig hohem Energiebedarf.
 
[9] Ralf Fücks, Intelligent wachsen, S.42.
[10] A.a.O., S.42.
[11] A.a.O., S.201.
[12] A.a.O., S.200
[13] Ergebnis gemeinsam durchgeführter Analysen in der BAB Energie der Grünen, Kassel, Oktober 2014
[14] Ausführlicher dazu: Hartwig Berger, Erneuerbarkeit, eine Legende? Ein sozial-ökologischer Blick auf biogene Energien, 2010. unter: www.hartwig-berger.de
[15] Im Sinn Karl R. Poppers, Die offene Gesellschaft und ihre Feinde.
[16] Stadtentwicklungssenator Geisel anlässlich der präsentation des Berliner Energie- und Klimaschutzprogramms, 1.12. 2015.
[17] Vgl. dazu den bericht der Enquète-Kommission des Abgeordnetenhaus Berlin „Nachhaltige Entwicklung/Agenda 21), 2001.

Permanentlink zu diesem Beitrag: https://gruene-linke.de/2016/01/07/gruenes-wachstum-eine-fata-morgana/

Schreibe einen Kommentar

Deine Email-Adresse wird nicht veröffentlicht.