Die Machtmaschinen

Bei den Forderungen nach Laufzeitverlängerungen von Atommeilern geht es allein um ökonomische und politische Machtstrukturen. Wenn Grüne wie Hubert Kleinert kürzlich im Spiegel aus vermeintlich „verantwortungsethischen“ Gründen darin übereinstimmen, erweisen sie sich als ebensolche Machtmaschinen.

Von Robert Zion

1946 schrieb der Ökonom Walter Eucken, einer der Väter der sozialen Marktwirtschaft, in mehreren Gutachten für die damaligen französischen Besatzer: “Die sogenannte freie Wirtschaft war eine vermachtete Wirtschaft. Die Freiheit war in ihr dazu gebraucht, Kartelle, Konzerne, Trusts und Pools zu bilden, die ihr Märkte beherrschen.“ Fortan ginge es nicht mehr nur um die Kontrolle wirtschaftlicher Macht, sondern explizit um ihre „Verhinderung“, ja, mehr noch: „Die besonderen Entstehungs- und Daseinsvoraussetzungen von Konzernen sollten beseitigt werden.“

Auch Atomkraftwerke sind sichtbares Zeichen einer solchen Vermachtung und damit einer zutiefst undemokratischen Konzeption der Energiegewinnung. Gegenüber den dezentralen und regionalgebundenen Klein- und Kreislaufstrukturen der erneuerbaren Energieträger, ist Atomkraft notgedrungen zentralistisch und an die hoheitliche Staatsgewalt gebunden. Atomenergie wird daher weniger produziert, sondern eher exekutiert. Atommeiler tragen so alle Insignien einer von Eucken als gescheitert bezeichneten „Zentralverwaltungswirtschaft“.

In der Tat sind die abgeschrieben Atomkraftwerke der vier großen Stromoligopolisten (Eon, RWE, Vattenfall, EnBW) nicht nur Macht-, sondern für diese auch wahre Gelddruckmaschinen. Für die im Falle eines GAUs natürlich hoffnungslos unterversicherten Meiler tragen ohnehin der Staat und damit der Steuerzahler und vor allem die betroffenen Eigentümer die vielfältigen Risiken und Kosten: Von der nach wie vor ungelösten Frage der Endlagerung bis zum Schutz der Atommülltransporte, vom Dauergeldsegen der EU-Forschungsgelder bis zur polizeilichen und militärischen Absicherung vor Widerstand aus der Bevölkerung und Terroranschlägen.

Als einer der Vordenker unserer westlichen liberalen Gesellschaften, der Philosoph John Locke, im siebzehnten Jahrhundert schrieb, dass „nichts im Verstand ist, was nicht zuvor in den Sinnen war“, konnte sich noch niemand eine Katastrophe wie Tschernobyl vorstellen, bei der Radioaktivität freigesetzt wird: geruchs- und geschmacklos, nicht zu sehen, nicht zu spüren und doch tödlich. Auch Atomunfälle werden so notgedrungen vom Staat exekutiert, denn der Bevölkerung ist mit der sinnlichen Wahrnehmung der Gefahr auch das Verständnis und damit die demokratische Souveränität über diese Technologie und ihre Risiken prinzipiell entzogen.

Nicht zuletzt der Widerstand gegen dieses bedingungslose Gottvertrauen auf die Exekutive bei einer derart zentralistischen und risikobehafteten Stromgewinnung aus Atomenergie, führte die Grünen zu ihrem Grundkonsens in den achtziger Jahren: ökologisch, sozial, basisdemokratisch, gewaltfrei. Das Ökologische mag zwar nach wie vor das normative Zentrum der Partei sein, doch im Grunde sind die Grünen gerade als Anti-Atompartei von Anfang an auch ein neues Demokratieprojekt gewesen.

Wenn daher heute Hubert Kleinert mit seiner Forderung der Laufzeitverlängerung diesen Grundkonsens der Grünen gegen die Machtmaschinen der Atommeiler in Frage stellt, rüttelt er nicht nur an den Grundfesten der Partei, er erweist sich selbst als zur reinen Machtmaschine gewordener Politiker: Statt entscheidendes Korrektiv in zentralen Zukunftsfragen der Gesellschaft zu bleiben, ist die Partei für ihn zu einem Korrelativ des politischen Mainstreams geworden. Damit aber legt er die Axt an die Existenzgrundlage der Grünen an. Diese bestand seit jeher auch darin, über das Tagesgeschäft hinauszudenken und damit die Beschränkungen der parlamentarischen Demokratie im Prinzip zu überwinden.

Weichen die Grünen nun selbst in der Atomfrage ihren Grundkonsens aus machtpolitischen Gründen auf und verabschieden sie sich auch hierin von ihrem Anspruch, den Wandel in den Staat zu tragen statt um jeden Preis staatstragend zu agieren, dann verlieren sie mit ihrem Alleinstellungsmerkmal als politisches Zukunftsprojekt auch ihre Daseinsberechtigung im bundesdeutschen Parteiensystem. „Wenn es einen Wirklichkeitssinn gibt“, so möchte man daher Hubert Kleinert mit Robert Musil ins Stammbuch schreiben, „dann muss es auch einen Möglichkeitssinn geben.“ Und ohne ein Beharren auf diesen Möglichkeitssinn auch in der schwierigen Frage der Energieversorgung würden die Grünen ihren Draht zur Zukunft endgültig kappen. Aber „die Zukunft“, so schrieb Petra Kelly 1982 an Willy Brandt, „muss sich auf die Grünen verlassen können.“

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