Malte Spitz (Bundesvorstand): Über den Umgang mit Wikileaks

“Transparenz ist ein Faktor, der in der Politik allgemein und gerade in der internationalen Politik viel zu kurz kommt”, sagt Malte Spitz, Mitglied des Bundesvorstandes von BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN. Man dürfe jedoch mit Veröffentlichungen von sensiblen Daten nie soweit gehen, dass das Leben, die körperliche Unversehrtheit oder die Privatsphäre gefährdet werden.
gruene.de: Findest Du die Veröffentlichung der 250.000 Dokumente auf Wikileaks richtig oder falsch?
Richtig oder falsch ist aus meiner Sicht nicht die entscheidende Frage. Entscheidend ist das Recht auf Presse- und Informationsfreiheit. Diese gilt es zu schützen und zu stärken. Deshalb finden wir es legitim und richtig, dass auch unliebsame Informationen durch eine solche Plattform ans Tageslicht kommen. Politik sollte nicht die alleinige Institution sein, die entscheidet, was von öffentlichem Interesse ist oder nicht. Darum begrüße ich auch die Arbeit von Wikileaks. Der Ansatz muss angesichts des internationalen Gegendrucks, der jetzt aufkommt, stärker als zuvor verteidigt werden. Auch wenn ich manchmal Kritik an der Vorgehensweise von Wikileaks habe und ihr eigener Anspruch nach Transparenz nicht meinen Anspruch erfüllt. Besonders muss aber der Schutz von Leben, körperlicher Unversehrtheit und Privatsphäre bei der Veröffentlichung von Dokumenten gewahrt bleiben.
Verträgt sich Diplomatie mit totaler Transparenz?
Man muss sich immer den konkreten Fall anschauen. Die jetzt veröffentlichten Dokumente waren Zehntausenden Menschen vorher bereits zugänglich, ihre Sicherheit wurde in dem regierungsinternen Netz nicht gewährleistet. Von Vertraulichkeit kann hier also nicht wirklich gesprochen werden. Aber natürlich braucht die Diplomatie geschützte Räume. Es wäre lebensfremd anzunehmen, dass Vertraulichkeit auf internationaler Ebene keine Rolle spielt. Es gibt Informationen, die nicht automatisch öffentlich werden müssen. Unsere berechtigte Forderung nach mehr Transparenz darf nicht dadurch konterkariert werden, dass alles veröffentlicht wird und Privatsphäre und andere Grundrechte dadurch zweitrangig werden. Ich glaube, dass es der internationalen Politik gut tut, wenn diese von einer kritischen Öffentlichkeit begleitet wird. Skandale und Verfehlungen können nur so aufgedeckt werden.Transparenz ist ein Faktor, der in der Politik allgemein und gerade in der internationalen Politik viel zu kurz kommt. Verfahren und Prozesse müssen nachvollziehbar bleiben, die Politik ist auch rechenschaftspflichtig gegenüber den Bürgerinnen und Bürgern. Staaten sollten von vorneherein mehr Mut zu mehr Öffentlichkeit haben. Erst willkürliche Abschottung sorgt doch dafür, dass als vertraulich deklarierte Dokumente nach ihrer Veröffentlichung zur Schlagzeile werden, selbst wenn sie kaum Neuigkeitswert haben. Die Veröffentlichungen der Botschaftsmeldungen sorgen nun für Transparenz in einem Bereich, der bisher gar nicht in der Öffentlichkeit stand. Es ist übertrieben, deshalb gleich vom Untergang der Diplomatie zu reden. Wichtiger ist doch, darüber nachzudenken, wie Diplomatie im 21. Jahrhundert funktionieren oder sich weiterentwickeln sollte.
Welche Konsequenzen ziehst Du aus der aktuellen Debatte um Wikileaks?
Ich kann unseren Anspruch an Datensparsamkeit und gegen ausufernde Datensammlungen nur bekräftigen. Denn je mehr Daten gespeichert werden, umso  mehr können diese in die Öffentlichkeit gelangen und missbraucht werden.
Entscheidender und vor allem besorgniserregend finde ich aber das Vorgehen von unterschiedlichen Akteuren, die Arbeit von Wikileaks nun massiv zu behindern und ihnen die technische Unterstützung zu entziehen. Bisher gibt es keine rechtlichen Verfahren gegen Wikileaks wegen der letzten Veröffentlichungen, und trotzdem wurden Inhalte von Servern entfernt, Konten gesperrt und vor allem die eigentliche Domain wikileaks.org gelöscht. Das ist kein gutes Zeichen für die Verfasstheit des Internets, wenn so massiv in die Informationsinfrastruktur auch auf staatlichen Druck hin eingegriffen wird. Hier muss es eine Aufarbeitung geben, um solche Dinge zukünftig zu verhindern. In einer solchen Situation muss Internet Governance funktionieren. Man kann unterschiedlicher Meinung über Wikileaks sein, rechtsstaatliche Prinzipien müssen aber eingehalten werden, ansonsten wird es zukünftig immer häufiger so sein, dass unliebsame Informationen auch in demokratischen Staaten entfernt werden und Presse- und Informationsfreiheit damit eine zweitrangige Rolle spielen. Solche Prozesse gilt es politisch zu verhindern.

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