Warum wir gestern der Finanzhilfe für Spanien zur Bankenrettung nicht zugestimmt haben.

Persönliche Erklärung gemäß § 31 GO-BT zur Abstimmung im Deutschen Bundestag über Einholung eines zustimmenden Beschlusses des Deutschen Bundestages nach § 3 Absatz 1 i.V. m. § 3 Absatz 2 Nummer 1 und 4 des Stabilisierungsmechanismusgesetzes (StabMechG) für Notmaßnahmen der Europäischen Finanzstabilisierungsfazilität zugunsten Spaniens
von Gerhard Schick, Beate Walter-Rosenheimer, Wolfgang Strengmann-Kuhn, Monika Lazar, Uwe Kekeritz, Arfst Wagner, Beate Müller-Gemmeke, Thilo Hoppe, Stephan Kühn und Ute Koczy
Spanien hatte am Ausgangspunkt der Krise 2007 eine überaus geringe Staatsverschuldung von 42% des BIP. Erst aufgrund der notwendig gewordenen Rettungsaktionen für den spanischen Finanzsektor stieg die offizielle Staatsschuldenquote auf über 80% an, liegt damit aber immer noch unter der deutschen Schuldenquote. Trotzdem hat Spanien ein akutes Refinanzierungsproblem und muss vor weiteren Zinssteigerungen geschützt werden. Das zeigt, dass die von den Regierungsparteien geprägte Interpretation dieser Krise als reine Staatsschuldenkrise sachlich falsch ist. Entsprechend ist auch die Politik, die daraus folgte und einseitig die staatliche Ausgabenpolitik zu korrigieren versuchte, kein geeigneter Ansatz zur Lösung dieser Krise. Im Gegenteil: Der spanische Staat wird so derzeit von Finanzmärkten und europäischer Politik zu einer mittel- und langfristig schädlichen Kürzungspolitik gezwungen. Deswegen halten wir generell eine Unterstützung Spaniens auch für wichtig. Denn jeder Schuldner kann, wenn die Zinsen hoch genug steigen, in die Insolvenz gedrückt werden.
Gleichzeitig besteht der Ansteckungseffekt fort, der von Griechenland über Irland und Portugal nun auch Spanien und Zypern erfasst. Denn wieder einmal beschränkt sich das von den europäischen Staats- und Regierungschefs vereinbarte auf das kurzfristig Notwendige, erreicht aber nicht das mittelfristig Erforderliche. Denn der Zinsdruck auf Spanien wird nur insofern gemindert, als für das derzeit für die Bankenrettung für nötig erachtete Volumen von bis zu 100 Milliarden Euro zinsgünstig über die EFSF refinanziert werden kann. Angesichts eines spanischen Refinanzierungsbedarfs von 152 Milliarden Euro allein im Jahr 2013 wird allerdings unmittelbar deutlich, dass das nicht genügen kann, um auch nur zwei Jahre Stabilität zu sichern.
Der eigentliche Grund für die dramatische Lage in Spanien ist die hohe Verschuldung von Privathaushalten, Unternehmen und Banken, die im Zusammenhang mit der Immobilienblase entstand. Sie wird erst jetzt nach und nach in ihrer vollen Höhe transparent, da die spanischen Aufsichtsbehörden – auch politisch motiviert – versagt haben, das Problem frühzeitig anzugehen. Seit Monaten nun verschleppt die spanische Regierung die Sanierung des maroden Bankensektors. Das wird dazu genutzt, Verbindlichkeiten der Institute dahingehend umzuschichten, dass eine Gläubigerbeteiligung immer schwieriger wird. Derzeit bieten spanische Banken ihren Nachrangkapitalgebern den Umtausch ihres Kapitals in Verbindlichkeiten niedrigerer Haftungsränge an, um diese Investoren vor etwaigen Beteiligungen zu schützen. Wie schädlich diese Entwicklung ist, zeigt sich daran, dass Ende 2009 noch über 100 Mrd. Euro an Nachrangkapital zur Verfügung standen, die Verluste im Bankensektor hätten absorbieren können. Doch im April 2012 waren es nach Analystenschätzungen nur noch rund 57 Mrd. Euro. Jetzt werden signifikante Teile des verbleibenden Nachrangkapitals von Kleinanlegern gehalten, die aufgrund von Falschberatung und Rückerstattungsansprüchen möglicherweise nicht so leicht herangezogen werden können. Das heißt: Wären diese Investoren frühzeitig beteiligt worden, wäre ein europäisches Hilfspaket wahrscheinlich gar nicht nötig gewesen! Heute jedoch ist Spanien auf die Unterstützung der anderen europäischen Staaten angewiesen.
Dass die Hilfe zweckgebunden ausschließlich für den Bankensektor gewährt wird, hat vor dem Hin-tergrund der spanischen Situation zwar eine inhaltlich Plausibilität. Letztlich ist es jedoch der Versuch zu vermeiden, dass Spanien zum Programmland wird und damit als Garantiegeber für den EFSF ausscheidet, sowie der Regierung eines großen EU-Mitgliedslands die Schmach einer allgemeinen Hilfsaktion und damit eines weitgehenden Verzichts auf wirtschaftspolitisch Souveränität zu ersparen. Problematisch ist allerdings weniger dies, sondern die Tatsache, dass damit kaschiert wird, dass sich Spanien de facto doch zu weitgehenden Austeritätsmaßnahmen verpflichten musste. So übernimmt der Deutsche Bundestag eben nicht nur die Verantwortung für die Freigabe der Mittel aus dem Bundeshaushalt, sondern auch für die damit verbundenen Konditionen, die Spanien weiter in die Rezession treiben, die Arbeitslosigkeit erhöhen und die sozialen Kosten der Krise steigern werden. Dem können wir nicht zustimmen.
In dem von Eurogruppe und Spanien ausgehandelten Memorandum of Understanding (MoU) wird die generelle Absicht geäußert, die Stabilisierung des spanischen Finanzsystems möglichst schonend für den Steuerzahler zu gestalten. Das ist zwar zu begrüßen, allerdings sind die genauen Konditionen der Bankenrestrukturierung und -abwicklung bei der heutigen Bewilligung der 100 Mrd. € Hilfsgelder noch nicht spezifiziert. Denn erst nach dem angekündigten Stresstests wird Klarheit darüber herrschen, wie viel zusätzliches Kapital die Banken benötigen und welchen Anteil davon vom spanischen Staat (über die Finanzierung der EFSF) getragen werden müssen und wie genau Gläubiger beteiligt werden. Dabei ist wichtig zu bemerken, dass die Ausgestaltung des Stresstests ein Politikum und keine reine technische Übung von Experten ist. Denn je nach zugrunde gelegtem Szenario wird eine Bank als überlebensfähig oder systemrelevant gelten und dementsprechend staatliche Kapitalspritzen erhalten oder nicht. Wir halten es vor diesem Hintergrund für richtig, als Notmaßnahme der EFSF zugunsten Spaniens zur möglicherweise kurzfristig notwendigen Rekapitalisierung von Finanzinstitutionen Mittel bis zu einer Gesamthöhe von 30 Mrd. € zuzustimmen, die bis Ende Juli 2012 bereitgestellt und von der EFSF in Reserve gehalten wird. Für die weiteren 70 Milliarden Euro wäre es hingegen richtig, dass der Bundestag abstimmt, wenn das Restrukturierungsgesetz in Spanien verabschiedet, nach die Ergebnisse des Stresstests vorgelegt und die Pläne für die Restrukturierung und Abwicklung von Banken im Herbst diesen Jahres über die tatsächlich benötigten Mittel bekannt sind. Jetzt muss der Bundestag eine Generalvollmacht ausstellen, die wir nicht für vertretbar halten. Im Herbst könnte er hingegen im Lichte der genannten Schritte eine realistische Einschätzung über die Lasten und die geplanten Maßnahmen vornehmen. Der dadurch entstehende Anreiz für spanische Behörden und Troika, die Bankenrettung tatsächlich im Sinne des Steuerzahlers zu gestalten, wäre – gerade auch vor dem Hintergrund der Erfahrungen bei der Bankenrettung in Deutschland und Irland – wichtig gewesen.
Weiterhin ist besonders problematisch, dass es sogenannte „Gruppe 3“-Banken geben soll, die bis Juni 2013 Zeit bekommen, sich über den Markt zu rekapitalisieren. Angesichts der spanischen Marktsituation ist das nur die Fortführung der Insolvenzverschleppung. Dies wird neben monatelanger Unsicherheit auch dazu führen, dass diese Banken ihre Verbindlichkeiten weiter Richtung minder haftendem Kapital umbauen werden. Um diesen Prozess nicht fortzuführen, hätten wir eine simultane Sofortkapitalisierung bei systemrelevanten Banken befürwortet – und nicht einen stufenweisen Ansatz wie im MoU vorgeschlagen. Bei allen anderen Instituten, die sich nicht über den Markt rekapitalisieren können, bedürfte es einer geordnete Insolvenz.
Unklar bleiben auch die finanziellen Rahmenbedingungen bei der Übertragung von notleidenden Aktiva auf die Vermögensverwaltungsgesellschaft Asset Management Company (AMC), die zu einem nicht näher definierten „tatsächlichen (langfristigen) wirtschaftlichen Wert (real economic value, REV)“ übernommen werden sollen.
Hinzu kommt die geringe Möglichkeit zur öffentlichen und parlamentarischen Kontrolle der vorge-nommenen Maßnahmen. Dem spanischen Parlament wurden Memorandum of Understanding und andere Unterlagen gar nicht vorgelegt, eine effektive Kontrolle der Maßnahmen zur Bankenstabilisierung ist so nicht möglich. Wir halten eine Überprüfung durch den Europäischen Rechungshof und das Europäische Parlament für erforderlich. Die Überprüfung durch drei Institutionen, die jeweils keiner effektiven parlamentarischen Kontrolle unterliegen – nämlich EZB, EU-Kommission und IWF – kann das Fehlen einer parlamentarischen Kontrolle nicht wettmachen.
Unsere Perspektive ist eine andere:

  • Mit einem Schuldentilgungsfonds kann nicht nur Spanien, sondern auch anderen Ländern die notwendige Stabilität gebracht werden, während zu stellende Sicherheiten den deutschen Steuerzahler vor Überforderung schützen.
  • Mit einem europäischen Ansatz wird der europäische Bankensektor gleichzeitig stabilisiert. Ein zügig vereinbarter EU-Restrukturierungsrahmen stellt sicher, dass dafür vor allem die Kapitalgeber der Banken und nicht die Steuerzahler herangezogen werden. Wo trotzdem staatliche Rekapitalisierung erforderlich werden sollte, übernimmt ein europäischer Restrukutierungsfonds die Eigentums- und Kontrollrechte.
  • Mit europäisch koordinierten Vermögensabgaben wird dafür gesorgt, dass die Lasten dieser Krise fair verteilt werden und die soziale Schere nicht weiter zunimmt.

Dafür braucht es endlich einen Kurswechsel in Europa. Vor diesem Hintergrund enthalten wir uns bei dieser Abstimmung.

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