Notizen aus der Dafür-Partei

Gastbeitrag von Detlef zum Winkel, Frankfurt 21.3.14

Etwas ist faul mit Bündnis90/Die Grünen. Seit ihrer Schlappe vom 22. September kriegen sie die Kurve nicht. Vorher übrigens auch nicht. Das unverhoffte Doppelglück, mit Frau Merkel nicht koalieren zu müssen, aber mit der traditionell weltoffenen und spendensicheren CDU des Hessenlandes zu dürfen, hat ihnen keinen neuen Lebensmut eingehaucht. Schwarz-grün wirkt wie das Pausenprogramm zwischen zwei ausländerfeindlichen Aufführungen der Roland Koch-Partei. Dafür werden die Grünen aus dem konservativen Lager mit Lob und Artigkeiten überhäuft, die sie ihrerseits mit reichlich Sympathie erwidern. Ob in Berlin oder Wiesbaden oder wer-weiß-wo-noch, die Gespräche waren immer sehr gut. Man ist sich stets näher gekommen, obwohl der Weg noch weit ist, vermutlich einer zu gemeinsamen Zielen. Alte Feinde haben sich versöhnt. Trittin hat mit Seehofer an einem Tisch gesessen. Bouffier und al-Wazir duzen sich. Hallo Tarek! – Ja, Volker? – Noch ein Foto fürs Familienalbum! Die Medien baden in solchen Ereignissen, machen sie zu top-Nachrichten, denn das ist schön: alle mögen sich, alle vertragen sich, alle geben vor allem Ruhe. Die braucht die Gesellschaft, um mit ganzer Kraft zu produzieren, zu exportieren und zu spekulieren, natürlich möglichst klimaverträglich.
Ruhe gibt auch die grüne Basis und das Wahlvolk. Nur 22.000 EU-Bürger beteiligten sich an einer online-Abstimmung, mit der die Grünen ihre Spitzenkandidaten für die Europawahl bestimmten. Das bestätigt den Trend, der nach unten geht: nur noch kleinste Oppositionspartei im Bund, Halbierung der Stimmen in Baden-Württemberg und statt sicherer zweistelliger Ergebnisse die 5%-Hürde wieder im Nacken. Trotz Fukushima und der Energiewende hat die Ökopartei abgewirtschaftet. Wie hat sie das fertig bekommen? Unternehmensberater Joschka Fischer weiß eine Erklärung. Seine Nachfolger hätten die Partei „strategisch auf einen Linkskurs verringert“.
Das reizt zur Überprüfung. Begeben wir uns auf einen Streifzug durch grüne Zustände, Mentalitäten und Entwürfe, den ich in Niedersachsen beginnen möchte. Vor einem Jahr suchte der frischgebackene Landwirtschaftsminister, Christian Meyer (38), für seine Agrarwende einen Staatssekretär, der den Apparat in den Griff bekommt, die richtigen Vorlagen erarbeitet, dem Chef den Rücken freihält und mit der Agrarlobby umgehen kann, einen richtigen Macher eben. Was lag da näher, als einen alten Mitstreiter zurückzuholen, der sich in Nordrhein-Westfalen an gleicher Stelle bewährt hatte? Udo Paschedag (60), ein zupackender Typ, der wie ein Imitat von Peer Steinbrück aussieht und sich auch so aufführt, nahm die neue Herausforderung an und freute sich über einen Arbeitsplatz näher an seiner Heimat Salzgitter. Ein paar Probleme, seine Besoldung und Ausstattung betreffend, konnte er zu seiner Zufriedenheit klären.
So schien es ihm ungerecht und ungesund, von einem 5er BMW, der in Düsseldorf sein Dienstwagen gewesen war, auf einen A6 Audi zurückzufallen, der ihm in Hannover zugestanden hätte. In diesen Kreisen gibt es ein feines Autogespür. Der 5er BMW gilt fast als 7er, aber der A6 ist eigentlich nur ein Passat mit etwas mehr Chrom. Paschedag bestellte einen Audi A8 mit spritsparenden 245 PS und behauptete, das Einverständnis von MP und Min (Ministerpräsident und Minister) eingeholt zu haben. Zum Auftakt des Bundestagswahlkampfs meldete „Bild“: „Grünen-Politiker bestellt Luxus-Dienstwagen mit Massagesitz.“ Dahinter in Kursivschrift der grüne Slogan: „Und Du?“ MP Stephan Weil konnte sich an sein Okay nicht mehr erinnern, und Paschedag durfte in den vorzeitigen Ruhestand, wenn auch ohne Massagesitz mit Allradantrieb.
Die peinliche Affäre lenkt den Blick auf einen Troß von Beamten, Managern, Geschäftsführern, Referenten und Fachleuten, die den Unterbau unter der grünen Spitze formen und seinen Betrieb mit meist unauffälliger Performance gewährleisten. Hier wächst ein Personal heran, das seinen Mitgliedsbeitrag an die Partei pünktlich und loyal, d.h. keinen Cent zu viel, entrichtet und ansonsten austauschbar ist. Paschedag ist zwar ein Einzelfall, den man nicht überbewerten soll. Allerdings hätte sein Gebaren keinen Anstoß erregt, wenn es nicht von der Boulevardpresse verpetzt worden wäre. Diesen Umstand darf man nicht unterbewerten.
Die mittleren Ränge der Partei verdienen mehr Aufmerksamkeit. Da gibt es Nachwuchspolitiker, Frischgesichter, ehrgeizige junge Leute, die die Zukunft für sich reklamieren und häufig die Gegenwart damit meinen. Einer von ihnen, der Karlsruher Alexander Salomon (28), sitzt als jüngster Abgeordneter des baden-württembergischen Landtags im Innenausschuß, wo er das Thema Rechtsextremismus bearbeitet. Scheinbar um Aufklärung nazistischer Umtriebe in Stuttgart und Heilbronn bemüht, richtete er einen langen Fragenkatalog an die Landesregierung. Den hatte er vorher mit dem SPD-geführten Innenministerium abgesprochen. Salomon hat schnell begriffen, wie eine Legislative zu funktionieren hat. Daß die kurzen Wege öffentlich bekannt wurden, war natürlich blöde.
Ein vielfach unterschätztes Problem im Ländle liegt darin, daß sich die grün-rote Landtagsmehrheit beharrlich weigert, einen NSU-Untersuchungsausschuß einzurichten. Der wäre angesichts der Vorgänge um die Ermordung der Polizistin Michèle Kiesewetter, angesichts organisierter Ku Klux Klan-Anhänger in der baden-württembergischen Polizei und angesichts eines Alltagsrassismus, der durch die Landesbehörden geistert, eine demokratische Selbstverständlichkeit gewesen. Doch Ministerpräsident Kretschmann (Grüne) und Innenminister Gall (SPD) haben anders entschieden. Es wird gemauert. Daß dies zur großen Freude der CDU geschieht, die hier eigentlich in der Verantwortung steht, ist klar. Aber warum opfert man die Aufklärung eines Polizistenmords dem Renommee von Günther Oettinger und Stephan Mappus?
Erneut wurde die Forderung nach einem Untersuchungsausschuß erhoben, als am 16. September 2013 in Stuttgart ein Aussteiger aus der Nazi-Szene in seinem Auto verbrannte. Am gleichen Tag war er zu einem Termin beim LKA bestellt. Florian H. hatte in früheren Vernehmungen ausgesagt, es gebe in Öhringen (Hohenlohekreis) eine „Neoschutzstaffel“, die ebenso gefährlich sei wie der NSU und mit diesem in Verbindung stehe. Dem aufstrebenden Juristen Salomon reicht das nicht. „Da müsste noch was kommen, wenn ein Untersuchungsausschuss installiert werden soll“. Vielleicht noch ein toter Zeuge? Der Abgeordnete erwartet von kritischen Insidern des Sicherheitsapparats, daß sie Informationen liefern, und denunziert sie dadurch eher, als daß er sie schützt. Das erinnert an ein klassisches Zitat eines anderen Karlsruher Juristen. Der frühere Generalbundesanwalt Rebmann beschied den Journalisten Ulrich Chaussy bei dessen Versuch, eine Wiederaufnahme der Ermittlungen zum Münchner Oktoberfest-Attentat zu erreichen, mit dem Satz: „Dann bringen Sie mir doch die Täter“ (siehe der aktuelle Film „Der blinde Fleck“).
Salomon hat mit seinem Statement den Berliner Rechtsextremismus-Forscher Hajo Funke zu einem langen Brief veranlaßt, in dem er dem jungen Mann erklärt, warum sein Verhalten gar nicht gut ist. Bei mir hat er einfach nur bewirkt, daß ich jeden Gedanken, aus taktischen Gründen grün zu wählen, mit sofortiger Wirkung eingestellt habe.
Das gleiche Problem stellt sich, was niemanden überraschen wird, in Hessen. Hier hat man allen Grund, die sogenannte „Kasseler Problematik“ aufzuarbeiten. Sie besteht darin, daß die mangelnde Staatsferne, die das Bundesverfassungsgericht beim NPD-Verbotsverfahren 2002 konstatierte, zur dramatischen Staatsnähe eskalierte. Wie anders soll man den Abstand zu einem Nazi-Mord bezeichnen, der räumlich aus ein paar Metern und zeitlich aus ein paar Sekunden besteht? Der hessische Verfassungsschützer Andreas Temme war am 6. April 2006 anwesend, als Halil Yozgat, Besitzer eines Internetcafés in Kassel, erschossen wurde. Er will davon nichts mitbekommen haben und meldete sich trotz der Presseberichte nicht bei der Polizei, sondern musste erst ausfindig gemacht werden. Bei seinen Vernehmungen äußerte er sich „restriktiv“, also falsch, wie der Anwalt der Familie Yozgat vor kurzem in zufällig nicht geschredderten Akten bei der Bundesanwaltschaft herausfand.
Restriktiv verfuhr auch der alte und neue hessische Ministerpräsident Bouffier. Er verweigerte der Polizei und dem Berliner Untersuchungsausschuß die Aussagegenehmigung für einen V-Mann im Nazi-Feld, mit dem Temme kurz vor und kurz nach seinem Aufenthalt in Yozgats Café telefoniert hatte. Nur indirekt durften Fragen an diesen Zeugen gerichtet werden; nur in Anwesenheit von Verfassungsschützern durfte er sie beantworten. Da hätte man auch gleich auf eine Befragung verzichten können.
Dennoch hielten und halten die hessischen Grünen einen NSU-Untersuchungsausschuß nicht für erforderlich. Stattdessen grübelten sie gemeinsam mit Bouffier, wie man dem heiklen Thema entkommt. Herausgekommen ist dabei die Idee zu einer „Expertenkommission“ für die Umsetzung der Empfehlungen des NSU-Untersuchungsausschusses des Bundestags. Über die Auswahl der Experten streitet die SPD-Opposition, die ebenso wenig an eine parlamentarische Aufklärung denkt, mit der Landesregierung. Das bedeutet: die parlamentarische Kontrolle scheitert nicht an mangelnden Möglichkeiten, sondern am Unwillen der Parlamentarier. Dafür enthält der schwarz-grüne Koalitionsvertrag ein überschwengliches Bekenntnis zur Polizei und zum Verfassungsschutz, wie es die Grünen wohl noch nie unterschrieben haben. Fazit: Wer ein Komplott nicht bekämpft, wird ein Teil desselben. Dieser Evolutionsprozess ist bei der Ökopartei weit fortgeschritten.
Verweile doch, du bist so schön. Das mag Tarek al-Wazir am 18. Januar gedacht haben, als er in Wiesbaden zum Minister für Wirtschaft, Energie, Verkehr und Landesentwicklung gekürt wurde. Ein prächtiges dpa Foto zeigt seinen smarten Kopf über zwei großen Blumensträußen, Marke Treibhaus, Holland. Den Mund zum Lächeln gezwungen, die Augen aufgerissen, den Blick nach oben in eine strahlende Zukunft gerichtet, da jubelt einer mit jeder Faser, aber nicht wirklich entspannt. Bekämpft er seine Rührung? Ahnt er, wie oft er Volker in den nächsten Jahren noch umarmen muß? „Endlich Minister“, titelte die „FAS“. Er ist angekommen, und sein Bild erinnert an die Grünen von 1983, als sie den Sprung in den Bundestag geschafft hatten, an ihre lachenden Gesichter, die glänzenden Augen, die unbändige Freude. Brav sagten sie ihr Verslein auf: daß die Friedensbewegung jetzt im Bundestag vertreten sei, daß die Atomkraftgegner eine parlamentarische Stimme besäßen und überhaupt, alles war ja so toll. Gemeint war natürlich, daß ich das geschafft habe, ich, der Otto, ich, die Petra, die Marieluise, die Antje und Ichichich, der Joschka – Wahnsinn. Zwei Jahre später erhob sich ein Jammern und Wehklagen, als man die schönen Mandate rotationsbedingt für irgendwelche Nachrücker räumen sollte. Da hatten sie schon vergessen, daß sie noch vor kurzem selber no name gewesen waren.
Petra Kellys ursprüngliche Idee einer Anti-Parteien-Partei war auf jeden Fall eine originelle Wortschöpfung und ständige Herausforderung für jeden Dialektiker. Ähnliches gilt für die grüne Gewaltfreiheit, die der deutschen Kriegsbeteiligung im Kosovo und in Afghanistan geopfert wurde. Das alles – Antipartei, Basisdemokratie, Gewaltfreiheit – sei nun glücklicherweise vorbei, bekennt Claudia Roth anläßlich ihrer Ernennung zur Bundestags-Vizepräsidentin, und die Erleichterung ist ihr anzumerken.
Aber es gibt noch mehr alten Plunder, den die Partei, diesmal geräuscharm, entsorgt. Der Atomausstieg kam im grünen Bundestagswahlkampf nicht mehr vor, allenfalls bei der Aufzählung vergangener Verdienste der Partei. Neben Bildung und Steuern war die Energiewende – Strompreise, EEG-Zulage, Ausbau von Wind- und Solarenergie – natürlich ein Schwerpunkt. Aber dabei wurde die Erwähnung der 9 Atommeiler, die es in Deutschland immerhin noch gibt, und der 128 weiteren Reaktoren, die in der EU derzeit betrieben werden, tunlichst vermieden. Unwichtig auch Gorleben, Atommüll oder Castortransporte. Das Interesse der Grünen an Fukushima hatte schon nach der baden-württembergischen Wahl abrupt nachgelassen.
Ein grüner Politprofi – soll man sagen: Kundenberater? – wird natürlich auf das Bundestagswahlprogramm 2013 verweisen. So wenig es für das Wahlvolk taugte, so gut kann man sich damit legitimieren. Darin gibt es selbstredend ein Kapitel „Atomausstieg sicher und schnell besiegeln“, das ein paar grüne Kernaussagen enthält, etwa den listigen Plan, die Sicherheitsauflagen für Atomanlagen zu verschärfen und Vorsorge gegen Flugzeugabsturz zu verlangen. „Falls diese Standards nicht eingehalten werden können, müssen die betreffenden AKW vom Netz genommen werden, das beschleunigt den Atomausstieg.“ Von all dem war in der Kampagne „Und du?“ nichts mehr enthalten. Dem Reakpolitiker Tarek al-Wazir ist die Flughafennähe von Biblis auch egal; er hat schon die Bereitschaft Hessens erklärt, eine Unterbringung von Castoren in dem stillgelegten AKW wohlwollend zu prüfen.
Was ist los, wenn eine Gewerkschaft keine Tarifpolitik mehr macht? Dann ist sie ein Bündnis für Arbeit mit den Unternehmern eingegangen. Was sagt man zu einer Kirche, die nicht mehr betet? Daß sie einen Pakt mit dem Beelzebub geschlossen hat. Welchen Pakt haben die Grünen also geschlossen? Jedenfalls sehnen Sie sich nach einem solchen. Gegen jeden Anspruch, eine identifizierbare Rolle in der Opposition zu spielen, gegen jeden politischen Verstand bot der Trittin-Nachfolger Anton Hofreiter der Bundesregierung eine Zusammenarbeit in der „neuen Phase der Energiewende“ an. Ein Erfolg könne nämlich „nur als nationales Gemeinschaftswerk“ gelingen. Postwendend antwortete Wirtschaftsminister Gabriel mit der Ankündigung, die Förderung der erneuerbaren Energien zurückzufahren, die Ausbauziele zu deckeln und stattdessen neue Kohlekraftwerke zu unterstützen.
Doch so leicht lassen sich Grüne nicht abschütteln. Auf ihrem Europaparteitag nahm Vorsitzender Cem Özdemir die bayerische Weigerung, der Planung von Stromnetztrassen quer durch Deutschland zuzustimmen, zum Anlaß, der CSU Verrat an der Energiewende vorzuwerfen. Er geißelte sie als Dagegen-Partei, während die Grünen eine Dafür-Partei seien. Also eine Pro-Parteien-Partei in der Terminologie von Petra Kelly. „Wir sind dafür“, rief Özdemir in den Saal, die Stimmbänder strapazierend, damit das Parteitagspublikum merkt, daß ein Beifall angebracht sei. Man registriert es, und kein Mitleid will sich einstellen. Diese Grünen sind kaputt.
Das ist an den letzten Aufrechten, die sie noch in ihren Reihen zählen, besonders eindrucksvoll wahrzunehmen. Rebecca Harms, langjährige Sprecherin der Grünen im Europaparlament, musste um ihren Spitzenplatz auf der Kandidatenliste kämpfen, was ja nicht Schlimmes ist, sondern ein ganz normaler Vorgang. Dabei hätte sie beispielsweise auf ihr allgemein anerkanntes Engagement in der Anti-AKW-Bewegung pochen können. Dreimal wird sie in einem taz-Interview darauf angesprochen, und dreimal weicht sie mit ihren Antworten aus. Auf dem Europaparteitag der Grünen zog sie es vor, die ukrainische Karte zu spielen. Spontan denkt man, ja – die Harms, sie ist doch einmal mit Walter Mossmann, dem Liedermacher von Wyhl, nach Tschernobyl gereist, hat darüber bedeutsame Berichte veröffentlicht und wichtige Untersuchungen angestoßen. Jetzt wird sie bestimmt ein Programm für die verstrahlte Prypjat-Region vorlegen und erklären, wie es von der EU realisiert und bezahlt werden kann.
Weit gefehlt! Frau Harms berichtete dem Parteitag, daß sie Silvester auf dem Maidan Platz in Kiew verbracht hat, daß sie mit Klitschko feierte und daß es tolle Fotos davon gibt. Im Saal schwenkten einige bestellte Parteifreunde die ukrainische Nationalfahne. Die Delegierten verstanden: diese Frau ist angesagt. Wir verstehen, daß der europäische Atomausstieg kein Thema des Wahlkampfs sein wird. Irgendwie betteln die Grünen um weitere Niederlagen.
Die Situation ist originell. Trotz einer Energiewende, deren Tempo vor zweieinhalb Jahren nicht für möglich gehalten wurde, hält die deutsche Umweltpartei beinhart am damals beschlossenen Ausstiegsplan für die Nuklearenergie fest. Dabei wurde sie allem Anschein nach doch gar nicht konsultiert!? Die Grünen haben zur Kenntnis genommen, daß es statt der befürchteten Energieengpässe inzwischen eine Überproduktion von Elektrizität gibt. Von heute auf morgen könnten zwei weitere Atomkraftwerke stillgelegt werden, ohne daß man es überhaupt merken würde. Aber Hofreiters nationaler Konsensvorschlag lautet: „Ein Zurückdrängen der Kohlekraft ist erforderlich, um die Überkapazitäten im Stromsektor abzubauen und die deutschen Klimaschutzziele zu erreichen.“ Ein Zurückfahren der Nuklearenergie, eine Beschleunigung des Atomausstiegs ist für die Grünen 2014 tabu. Von dieser Position ist es nur noch ein kleiner Schritt dahin, Atomkraft als eine notwendige, weil „klimafreundliche“ Übergangstechnologie anzusehen.
Wer das als „strategische Verringerung der Grünen auf einen Linkskurs“ ansieht, gewährt aufschlußreiche Einblicke in seine eigene Positionierung. Joschka Fischer, Pate der Grünen, würde von der atomaren Gemeinde (RWE, OMV, Siemens AG) keine Aufträge für seine Werbeagentur erhalten, wenn er dem Trend bloß auf den Fersen wäre. Er läuft ihm natürlich wie gewohnt voraus. Er weilt schon in Teheran, um Nukleartechnik von Siemens feilzubieten, während der Iran noch in Genf über die Aufhebung der Atomsanktionen verhandelt. Er steht schon vor der Tür, wenn Rohani noch seine Telefonnummer sucht. Er ist immer state of the art. Es bleibt abzuwarten, wer die Cojones hat, als erster zu bekennen, daß die Grünen keine Anti-Atom-Partei mehr sind. Fischer? Kretschmann? Hofreiter? Trittin? Cohn-Bendit? Damit vertreiben wir uns die Zeit bis zum nächsten GAU.
Detlef zum Winkel

 Zum Winkel, Detlef: Dipl.phys. Geb. 1949. 1967-1975 Studium der Physik, Diplomarbeit am Deutschen Elektronen-Synchroton (DESY); Lehrer an Hamburger Schulen; freier Autor; Arbeit in Bürgerinitiativen gegen Atomkraftwerke und gegen die Startbahn 18 West des Frankfurter Flughafens. Antifa. Seit 1991 Informatiker. Publikationen im Monatsmagazin „konkret“, Hamburg.

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4 Kommentare

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    • Wolfgang Ehle auf 24. März 2014 bei 12:53
    • Antworten

    Eben: Es geht um die Anzahl Leute, die (aus meiner Sicht) schräge Inhalte repräsentieren.

    1. dann bleibt nur übrig, die Leute in beiden Parteien zu zählen. 🙂

  1. Gute Frage. Aber die stellt sich doch in erster Linie nach den Inhalten und dann nach den Leuten, die sie vertreten?

    • Wolfgang Ehle auf 22. März 2014 bei 18:26
    • Antworten

    Das stimmt mich alles sehr nachdenklich.
    Bleibt nur eine Frage:
    Wo ist die Anzahl der Leute, mit denen ich nicht einverstanden bin, größer: bei den Linken oder bei den Grünen. Für eine schlüssige Antwort wäre ich dankbar.

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