Vorbemerkung:
Aufgrund der anstehenden Diskussion und möglicherweise Beschlusslage auf der Ende Januar stattfindenden BDK (Bundesparteitag) ergänzen wir diese Seite laufend, aktuell durch zahlreiche Hintergrundinfos (s.u.)
Den aus der Diskussion resultieren Antrag zur BDK findet ihr hier: https://antraege.gruene.de/47bdk/aufruestungsspirale_beenden_entschiedene_friedenspolitik_statt_drohen_-27683
Unter diesem Titel fanden sich am 29.11.2021 über 100 Teilnehmer*innen (Parteimitglieder der Grünen, der SPD und der Linken sowie eine große Zahl von den verschiedenen Friedensorganisationen wie DFG-VK, IPPNW, ICAN, FifF, …) in einer fast vierstündigen Videoschaltung zusammen.
Im ersten Teil gab es ausführliche Informationen zu den beiden Schwerpunktthemen „Bewaffnete Drohnen und Autonome Waffensystem“ sowie „Atomwaffenverbotsvertrag (AVV) und Nukleare Teilhabe (‚Bücheler Atombomben‘)“. Anlass der Veranstaltung waren Befürchtungen, die zukünftige Ampel-Koalition würde den Weg für die Bewaffnung von Drohnen freimachen und an der sogenannten “atomaren Teilhabe”, der Stationierung von US-Atombomben in Deutschland festhalten.
Bewertung Katja Keul MdB
Die grüne Abrüstungsexpertin Katja Keul berichtete als einzige der angefragten Politiker*innen aus den Ampelkoalitions-Parteien von den Koalitionsverhandlungen und stellte sich der Diskussion. Sie stellte die Erfolge wie die Festschreibung des Beobachterstatus zum Atomwaffenverbotsvertrag in den Vordergrund, vor allem weil diesem Schritt andere NATO-Staaten folgen könnten. Die angestrebte Rüstungskontrolle sowie die Aussagen im Koalitionsvertrag, dass künftig keine Minderjährigen an der Waffe ausgebildet werden, dass Bundeswehr-Einsätze nur noch als „äußerstes Mittel“ und die Voraussetzung eines UN-Mandat für bewaffnete Einsätze sowie die Evaluierung sind weitere Punkte auf der Positivliste.
Kampfdrohnen sind völkerrechtswidrig
Der afghanische Journalist Emran Feroz gab ein Bild über die Drohneneinsätze in seiner Heimat. Als verheerend schilderte er dabei die Ungenauigkeit der Einsätze und dadurch die übergroße Anzahl der zivilen Opfer. Prof. Hans-Jörg Kreowski (Uni Bremen) beschrieb die Funktion und damit auch die Gefahren Autonomer Waffensysteme. Elsa Rassbach (Attac, DFG-VK, Drohnen-Kampagne, “Ban Killer Drones”, USA) beschrieb die bisherige deutsche “Drohnen-Debatte” und betonte, dass selbst zum “Schutz” von Soldat*innen bei ausgewiesenen bewaffneten Konflikten der Einsatz von bewaffneten Drohnen als völkerrechtswidrig gelten könnte, weil das Waffensystem nicht gut zwischen Zivilisten und Kombattanten unterscheiden kann und nachträglich durch Softwareaustausch zu autonomen Waffen verwandelt werden könnten.
Atomkrieg aus Versehen?
Im zweiten Teil stellt Prof. Karl Hans Bläsius (Hochschule Trier) die sehr realistische Gefahr eines Atomkrieges aus Versehen dar, dem wir in der Vergangenheit bereits mehrfach nur knapp entgangen sind. Rechnet er die neuen Gefahren wie Cyberangriffe und Klimaveränderungen mit ein, steigt diese Gefahr aktuell noch einmal stark an. Florian Eblenkamp (ICAN) beschrieb die Hintergründe zum Atomwaffenverbotsvertrag (AVV) und den aktuellen Stand, während Xanthe Hall (IPPNW) die vergangene und aktuelle deutsche Atomwaffenpolitik auf den Punkt brachte.
Nach fachlichen Rückfragen gab es ausführlichen Raum für eine kontroverse Diskussion über den von den Ampelparteien vorgelegten Koalitionsvertrag. Positiv wurde von fast allen die Festschreibung das „Anstreben eines Beobachterstatus beim AVV“ gewertet als ein deutlicher erster Schritt „in die richtige Richtung“ zum deutschen Ausstieg aus der Nuklearen Teilhabe.
Bewaffnete Drohnen
Die zu häufig unscharf-verwaschenen Aussagen wie „Bewaffnete Drohnen wollen wir verstärkt in internationale Kontrollregime einbeziehen“ oder die undifferenzierten 3% BIP, die in „internationales Handeln investiert“ werden sollen sehen die Diskutant*innen als wenig hilfreich für die kommende Regierungspolitik.
Vor allem das Thema Drohnen taucht in den Beiträgen immer wieder auf. Die im Entwurf des Koalitionsvertrag vorgesehene Bewaffnung von Drohnen wird real eine Verschärfung der globalen technologischen Rüstungsspirale bedeuten.
Die Gefahren ziviler Verluste durch fehlenden Kontrollmöglichkeiten beim Einsatz von Kampfdrohnen werden als unvermeidbar angesehen. Jeglicher Einsatz außerhalb des reinen Kriegsgeschehens gilt als völkerrechtswidrig. Hier ist festzuhalten: Die Bundesrepublik ist bereits heute am völkerrechtswidrigen Drohnenkrieg der USA beteiligt.
Die zudem steigende Gefahr der Systeme durch Zunahme der Autonomie (noch müssen Soldaten in tausenden Kilometern Entfernung „den Knopf“ zur Tötung drücken) wird als unverantwortlich eingestuft. Von grüner Seite wird kritisiert, dass selbst der äußerst knappe grüne Parteitagbeschluss überschritten wird: Die JuSos haben einen ablehnenden Beschluss zu den Formulierungen zu „Drohnen“ gefasst.
Aggressive NATO Politik
Kritisiert wird von vielen Teilnehmer*innen die Rhetorik gegen China und Russland. Ebenso heftig wenden sich etliche Beiträge gegen die Festschreibung der Beschaffung neuer Trägersystem als Tornado-Nachfolger, welche mit großer Wahrscheinlichkeit für den Atomwaffeneinsatz geeignet gekauft werden und somit die Nukleare Teilhaben für etliche Jahre festschreiben würden. Vor der Entscheidung über das Tornado- Nachfolge Flugzeug muss eine transparente Debatte über die Zukunft der nuklearen Teilhabe stattfinden.
Dass im Koalitionsvertrag ausdrücklich betont wird, dass „(wir) uns zur Aufrechterhaltung eines glaubwürdigen Abschreckungspotenzials … bekennen“, finden die darauf Bezug nehmenden Redner*innen beängstigend und weit ab früherer grüner oder SPD- Friedenspolitik. Überwiegend wurde dies als „Bekenntnis zur Erstschlag-Doktrin der NATO“ interpretierbar gewertet. Vermisst wurde dagegen, dass gerade nach den Problemen der NATO (Trump-Regierung, Afghanistan …) die Chance vergeben wurde, die Aufgaben und Ziele der NATO zukunftssicher auszurichten.
Fazit
In der abschließende Runde ist das fast einhellige Fazit, dass die Vertreter*innen der beiden anwesenden Ampelparteien aufgefordert werden, in diesen wesentlichen Punkten eine deutliche Nachbesserung zu fordern und an den unklar formulierten Stellen für „friedliche“ Interpretationen zu kämpfen. Als Ziel wird genannt, die Einführung bewaffneter Drohnen oder gar autonomer Tötungssysteme zu verhindern, möglichst schnell dem Atomverbotsvertrag beizutreten und somit die nukleare Teilhabe Deutschlands zu beenden. Der Moderator der Veranstaltung, Karl-W. Koch: „Nehmen wir diese Veranstaltung als Auftakt zur Vernetzung der kritischen Stimmen in unseren beiden Parteien mit unseren Unterstützer*innen in den Friedensinitiativen, um diese Ziele zu erreichen“.
Nachträge:
1. Die „Wunderwaffe“ des Afghanistan Krieges
Eine fünfseitige Veröffentlichung von Elsa Rassbach zum Thema: HIER
2. Pressespiegel: Scharfe Debatte über Bewaffnung von Drohnen beim Bundesparteitag der SPD am 11.12.2021
3. Antworten von grünen MdBs und Kandidat*innen auf Abgeordnetenwatch zu “Drohnen”
findet ihr hier: https://www.gruene-linke.de/wp-content/uploads/2022/01/Abgeordnetenwatch-gruene-Drohnen.pdf
4. Aufruf Drohnenkampagne
findet ihr hier: https://www.gruene-linke.de/2022/01/08/keine-bewaffneten-drohnen-fuer-die-bundeswehr/
5. Brief des Münchner Friedensbündnisses an die bayerischen Bundestagsabgeordneten Bündnis90/Die Grünen
Sehr geehrte Frau Bundestagsabgeordnete, sehr geehrter Herr Bundestagsabgeordneter, das Münchner Friedensbündnis beteiligt sich an den Aktionen gegen die Bewaffnung mit Drohnen. Wir erinnern, dass die Drohnen-Kampagne ein 2013 gegründetes Netzwerk mit 150
Unterstützergruppen ist, dem auch Ihre Partei angehört.
Noch im Dezember 2020 hatte die Bundestagsfraktion von Bündnis 90/Die Grünen im Bundestag einen Antrag gegen die Bewaffnung der Bundeswehrdrohnen gestellt.
Ende November 2021 hatten die Parteiführungen von SPD, Bündnis 90/Die Grünen und FDP im Koalitionsvertrag erklärt: „Unter verbindlichen und transparenten Auflagen und unter Berücksichtigung von ethischen und sicherheitspolitischen Aspekten werden wir daher
die Bewaffnung von Drohnen der Bundeswehr in dieser Legislaturperiode ermöglichen.“
Unser Entsetzen ist groß, da wir sehen welche Folgen die Drohneneinsätze für die Zivilbevölkerung haben. Vor wenigen Wochen sind durch die New York Times sowie durch deutsche Leitmedien <https://www.zeit.de/politik/ausland/2021-12/us-militaer-drohnenangriffe-zivile-opfer-new-york-times> wichtige neue Infos über die Tötungen von vielen Zivilist*innen durch das US-Militär „zum Schutz der Soldat*innen“ bei den bewaffneten Konflikten in Afghanistan und Syrien bekannt geworden. Diese Tötungen fanden unter ähnlichen Einsatzregeln statt, wie sie vom Bundesverteidigungs-ministerium für den Einsatz von Bundeswehrdrohnen empfohlen werden.
Bitte stimmen Sie gegen die Anschaffung bewaffneter Drohnen für die Bundeswehr.
Gerne stehen wir für eine weiterführende Diskussion zur Verfügung, um mit Ihnen über viele weitere wichtige Argumente gegen die Bewaffnung zu sprechen. Wir bitten um Terminvorschläge für ein persönliches Gespräch.
Mit freundlichen Grüßen
Münchner Friedensbündnis
i. A.
Brigitte Obermayer
P.S.: Dieser offene Brief wird unterstützt vom Münchner Bündnis gegen Krieg und Rassismus
Beschluss aus Rheinland-Pfalz aus 2014 zum Drohneneinsatz via Ramstein:
Bis heute nicht umgesetzt von der Landesregierung, OBWOHL die Voraussetzungen erfüllt sind!
https://www.gruene-linke.de/wp-content/uploads/2022/01/Beschluss_Kampfdrohnen_stoppen.pdf
Online-Zeitschrift Truthout
Weitere Veröffentlichungen dazu in deutscher Sprache
SPD-Mitglieder müssen Drohnen-Bewaffnung stoppen
— Versprechen im Koalitionsvertrag zu ethischen Standards lassen sich nicht einhalten
https://www.attac.de/startseite/teaser-detailansicht/news/spd-mitglieder-muessen-drohnen-bewaffnung-stoppen/
https://drohnen-kampagne.de/2021/12/09/offener-brief-der-drohnen-kampagne-an-die-delegierten-des-spd-bundesparteitags-am-11-dezember-2021/
22.11.2021, Brief der Drohnen-Kampagne an die Abgeordneten des deutschen Bundestages der Fraktionen SPD, FDP und Bündnis90/Die Grünen
https://drohnen-kampagne.de/2021/11/22/brief-der-drohnen-kampagne-an-die-abgeordneten-des-deutschen-bundestages-der-fraktionen-spd-fdp-und-buendnis90-die-gruenen/
28.10.2021, Aufruf der Drohnen-Kampagne anlässlich der Koalitionsverhandlungen — KEINE BEWAFFNETEN DROHNEN! AUFKLÄRUNGS- UND AKTIONSMONAT NOVEMBER 2021
https://drohnen-kampagne.de/2021/10/28/aufruf-der-drohnen-kampagne-anlaesslich-der-koalitionsverhandlungen-keine-bewaffneten-drohnen-aufklaerungs-und-aktionsmonat-november-2021/
20.12.2019, Zweiter Appell des bundesweiten Netzwerks “Drohnen-Kampagne”
https://drohnen-kampagne.de/appell-12-2019/
März 2013, Erster Appell des bundesweiten Netzwerks “Drohnen-Kampagne” (bei der Gründung) -Appell: Keine Kampfdrohnen!
https://drohnen-kampagne.de/appell-keine-kampfdrohnen/
Die folgenden Gruppen unterstützten den Appell „Keine Kampfdrohnen!“ Keine der Unterstützungsgruppen haben gebeten, ihren Namen von der Liste der Unterstützer-Gruppen zu entfernen:
https://drohnen-kampagne.de/appell-keine-kampfdrohnen/unterstutzergruppen/
— Siehe #29. Bündnis 90/Die Grüne (Partei, Bundesvorstand) – sogar mit der Webseite der Grünen auf unserer Seite (Die Webseite ist noch verlinkt.)
— Siehe auch #28. Bundesverband der Juso-Hochschulgruppen – (Webseite auch noch verlinkt.)
(Jusos haben den Antrag zum SPD-Parteitag im Dezember 2021 gestellt.)
New-York-Times
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