Pressemitteilung des BUND zur ATG-Novelle

Offener Brief von Angelika Zahrnt und Renate Backhaus an die Bundestagsabgeordneten


 

BUND

Pressemitteilung vom 5. September 2001, pm 75

BUND: Der Atomgesetznovelle nicht zustimmen!

Berlin, 5.9.01: Der Bund für Umwelt und Naturschutz Deutschland (BUND) hat die Bundestagsabgeordneten heute in einem offenen Brief aufgefordert, die im Kabinett verabschiedete Novelle des Atomgesetzes abzulehnen. Bei der anstehenden Beratung des Gesetzes, das vor der Behandlung durch das Parlament lediglich zwischen Atomindustrie und Bundesregierung unter Ausschluss der Umweltverbände verhandelt wurde, sollten sich die Abgeordneten keine Zustimmung vorgeben lassen, sondern nach eigener Verantwortung entscheiden. Das in der Koalitionsvereinbarung gegebene Versprechen der rot-grünen Bundesregierung, wegen der Gefahren und der Folgen der Nutzung der Atomkraft den schnellstmöglichen unumkehrbaren Atomausstieg zu realisieren, werde durch die Gesetzesnovelle nicht eingelöst.

Angelika Zahrnt, Vorsitzende des BUND: "Wir lehnen den Entwurf der Atomgesetznovelle strikt ab. Die Gefahren der Atomenergie und das tägliche Anwachsen des Strahlenmülls sprechen gegen diese Energieform. Wir erwarten daher von den Abgeordneten des Bundestages, dass sie das vorgelegte Gesetz ablehnen und sich statt dessen für einen sofortigen Ausstieg aus der Atomenergie einsetzen."

Renate Backhaus, atompolitische Sprecherin des BUND-Bundesvorstandes: "Die Atomkraft ist und bleibt eine unbeherrschbare Energiequelle, die die grundgesetzlich verankerten Rechte des Menschen auf Leben und körperliche Unversehrtheit sowie das Recht künftiger Generationen auf den Schutz ihrer Lebensgrundlagen verletzt. Das belegen immer wieder auftretende Atomunfälle und -skandale sowie die unlösbare Frage einer sicheren Entsorgung des hochradioaktiven Atommülls. Es darf deshalb nur eine Option geben: den sofortigen Atomausstieg."

Der BUND kritisiert zudem die weitere Bevorteilung der Atomstromerzeugung gegenüber anderen Energiequellen. So sei die in der Novelle vorgesehene Haftpflichtversicherungssumme von 5 Milliarden Mark angesichts potenzieller Schäden von 10 000 Milliarden Mark weiterhin lächerlich gering. Zudem werde der Brennstoff für Atomkraftwerke im Gegensatz zu den Brennstoffen für Erdgas- und Erdöl-Kraftwerke nicht besteuert, so dass diese gegenüber der Atomkraft massiv benachteiligt seien. Wenn die Atomstromerzeugung ihre realen Kosten tragen würde, läge der Preis für eine Kilowattstunde Atomstrom laut BUND weit über einer Mark und wäre damit wirtschaftlich völlig uninteressant.

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Offener Brief von Angelika Zahrnt und Renate Backhaus
an die Bundestagsabgeordneten

Sehr geehrte Damen und Herren,

am heutigen 05. September wird im Bundeskabinett die Novelle des Atomgesetzes (AtG) beraten. Danach wird sie im parlamentarischen Prozess voraussichtlich bereits in der nächsten Woche in erster Lesung im Bundestag behandelt. Das Versprechen, wegen der Gefahren und Folgen der Nutzung von Atomkraft einen umfassenden und unumkehrbaren Atomausstieg zu realisieren und die Nutzung der Atomkraft so schnell wie möglich zu beenden, welches die rot-grüne Bundesregierung in ihrer Koalitionsvereinbarung noch gegeben hatte, wird durch den vorgelegten Entwurf für eine AtG-Novelle nicht eingelöst. Der Bund für Umwelt und Naturschutz Deutschland (BUND) lehnt den vorgelegten Entwurf ab, denn es ist nicht akzeptabel, dass trotz der Einsicht in die unwägbaren Gefahren der Atomenergie diese Energiequelle weiterhin genutzt wird. Dies zumal, da eine Stromversorgung ohne Atomenergie in Deutschland möglich ist. Wir erwarten vom Deutschen Bundestag und von den Abgeordneten, dass sie die vorgelegte Novelle ablehnen und sich statt dessen für einen sofortigen Ausstieg aus der Atomenergie einsetzen. Wir wollen ihnen unsere Kritik an der AtG-Novelle an einigen wenigen Punkten kurz und beispielhaft erläutern:

1.

Atomkraft ist eine unbeherrschbare Energiequelle In Artikel 2 Absatz 2 des Grundgesetzes ist das Recht des Menschen auf Leben und körperliche Unversehrtheit festgeschrieben. Und in Artikel 20a des Grundgesetzes ist das Recht der künftigen Generationen auf Schutz der natürlichen Lebensgrundlagen verankert. Die Nutzung der Atomenergie stellt dagegen eine prinzipielle Gefahr für Leib und Leben der Menschen dar. Denn beim Betrieb von Atomkraftwerken kann keine absolute Sicherheit gewährleistet werden. Gerade die Atomunfälle und -skandale in den letzten Wochen haben dies wieder nachdrücklich bewiesen. So wurde aus der Wiederaufarbeitungsanlage Karlsruhe widerrechtlich hochgiftiges Plutonium entwendet, ohne dass die Sicherheitssysteme es verhindert hätten. Der baden-württembergische Umweltminister Ulrich Müller (CDU) dazu: "Eine hundertprozentige Sicherheit vor einem Täter mit hoher krimineller Energie aus dem Innenbereich wird es auch in Zukunft nicht geben." Und erst jüngst brach der Kopf eines Brennelements beim Entladen im Atomkraftwerk Biblis ab und versank im Abklingbecken. Ursache: menschliches Versagen. Der Problem-Faktor "menschliches Versagen" wird sich bei noch so perfekten Anlagen nie vermeiden lassen. Schon alleine deswegen, weil auch noch so "perfekte" Anlagen von Menschen hergestellt worden sind. Welche katastrophalen Folgen allerdings ein großer atomarer Unfall hier in Deutschland hätte, hat die "Deutsche Risikostudie Kernkraftwerke, Phase B" deutlich nachgewiesen, die am 30. Juni 1989 veröffentlicht worden ist. Sie arbeitete mit dem Szenario eines größten anzunehmenden Unfalls (GAU) im Atomkraftwerk Biblis A. Jenem Atomkraftwerk, welches am 16. Dezember 1987 nur knapp an einer verheerenden Atomkatastrophe vorbeigeschrammt ist, die nur durch einen technischen Zufall verhindert wurde. Wenn es in Biblis zu einem GAU gekommen wäre, hätten in kürzester Zeit 4,3 Millionen Menschen, die in der direkt von der Katastrophe betroffenen Zone leben, flüchten müssen. Andernfalls hätten ihnen akute Gesundheitsschäden gedroht: eine nicht vorstellbare und auch nicht realisierbare Massenflucht. Mittelfristig hätten weitere 5,7 Millionen Menschen aus radioaktiv mittelbar belasteten Gebieten umgesiedelt werden müssen. Große Teile der Bundesrepublik wären für Jahrhunderte unbewohnbar geworden. Das Finanzsystem der Bundesrepublik wäre kollabiert. Rund 4,8 Millionen Menschen in der Bundesrepublik würden als Spätfolge einer solchen Reaktorkatastrophe an Krebs erkranken. Mit dem Recht des Menschen auf Leben und körperliche Unversehrtheit (Artikel 2.2. Grundgesetz) ist dies nicht vereinbar.

2.

Atommüll Das Problem einer sicheren "Entsorgung" des hochradioaktiven Atommülls ist nach wie vor ungelöst, und es wird sich wahrscheinlich auch nicht lösen lassen. Bis heute gibt es trotz des Gebots in § 9a AtG für radioaktive Reststoffe und Abfälle bislang weder ein Konzept noch ein als sicher aufzufassendes Endlager. Frühere Bundesregierungen haben versucht, diesen Tatbestand durch die Deklaration und Anerkennung der Wiederaufarbeitung als schadlose Verwertung zu unterlaufen. Es ist ebenfalls keine Lösung, wie in der Novelle des AtG vorgesehen, den Atommüll bis 2005 ins Ausland zur weiteren Wiederaufarbeitung verschieben zu lassen. Damit werden die Probleme vergrößert und der Atomindustrie wird ein bequemes Schlupfloch geboten, ohne dass sie eine sichere Entsorgung nachweisen muss. Durch die Nutzung der Atomenergie sind bis heute in Deutschland bereits rund 180.000 Kubikmeter radioaktive Abfälle angefallen. Mit der in der Novelle des AtG verankerten Gesamtlaufzeit werden die deutschen Atomkraftwerke noch einmal fast genauso viel strahlenden Abfall produzieren. Abfall, der über Millionen von Jahren sicher von der Biosphäre ferngehalten werden muss, damit die Strahlung kein Leben gefährdet. Und ein Endlager, das den Strahlenmüll über den notwendigen Zeitraum sicher von der Biosphäre abschneidet, existiert nicht. Das nicht vorhandene sichere Endlager und das weitere Anwachsen des Atommüll-Bergs widersprechen massiv dem Recht zukünftiger Generationen auf den Schutz der natürlichen Lebensgrundlagen. Im Gegensatz zum Gesetzentwurf wäre es erforderlich gewesen, festzustellen, dass der nach § 9a AtG gebotene Nachweis einer schadlosen Verwertung und einer geordneten Beseitigung des Atommülls mittels sicherer Endlagerung nicht vorgelegt werden kann. Die direkte Konsequenz wäre die sofortige Stilllegung der Atomkraftwerke durch Entzug der Betriebserlaubnis gewesen.

3.

Haftpflichtversicherung und Primärenergiebesteuerung Trotz der Erhöhung der Haftpflichtversicherungssumme von 500 Millionen Mark auf 5 Milliarden Mark sind die potentiellen Schäden in Höhe von, konservativ gerechnet, 10.000 Milliarden Mark lediglich zu rund 0,1 Prozent abgedeckt. Grundsätzlich ist die wirkliche Schadenshöhe nicht in Geld aufzurechnen, da täglich die Gefahr für Leib und Leben droht. Diese weiterbestehende Gefahr eines GAU macht den Weiterbetrieb der Atomkraftwerke politisch und moralisch absolut inakzeptabel. Die Erhöhung der Deckungsvorsorge der Atomkraftwerke von weniger als 0,01 Prozent auf weniger als 0,1 Prozent der zu befürchtenden Schäden ergibt gegenüber anderen Stromquellen einen nicht zu rechtfertigenden wirtschaftlichen Vorteil für die Atomwirtschaft. Wenn die wirklichen Risiken der Atomenergie adäquat berücksichtigt würden, würde die Kilowattstunde Atomstrom bei einem Preis zwischen 1 und 2 Mark liegen. Wirtschaftlich wäre sie damit absolut uninteressant. Zudem wird der Brennstoff für Atomkraftwerke im Gegensatz zum Brennstoff für die mit Erdgas und Erdöl betriebenen Kraftwerke nicht besteuert, die damit gegenüber der Atomkraft massiv benachteiligt werden.

Das Grundgesetz sieht in Artikel 38 Absatz 1 vor, dass jede Parlamentarierin und jeder Parlamentarier als Vertreter des ganzen Volkes nicht an Weisungen gebunden ist sondern frei nach seinem Gewissen entscheiden soll. Auch bei der Frage der Novelle des Atomgesetzes, welches vor der Behandlung durch das Parlament nur zwischen Atomindustrie und Bundesregierung und unter Ausschluss des kritischen Sachverstandes der Umweltverbände verhandelt wurde, sollte sich das Parlament keine Meinung vorschreiben lassen. Die Frage der Atomenergienutzung ist eine Gewissensfrage! Entscheiden Sie deshalb souverän und allein in ihrer eigenen Verantwortung! Wir fordern Sie auf: Stimmen Sie gegen diese Novelle des Atomgesetzes und treten Sie für einen sofortigen Ausstieg aus der Atomenergie ein!

Mit freundlichen Grüßen

Angelika Zahrnt, BUND-Vorsitzende
Renate Backhaus, atompolitische Sprecherin des BUND-Bundesvorstandes


Bund für Umwelt und Naturschutz Deutschland (BUND)
Walter Hans Jungbauer
Referat Atomausstieg und Energiepolitik
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