Beschluß der LDK in Niedersachsen am 12.05.2001

Mehr Politik statt immer mehr Polizei!

Nach den Auseinandersetzungen um den 4. Castortransport in das Zwischenlager Gorleben erklären die niedersächsischen GRÜNEN auf ihrer Landesdelegiertenkonferenz in Nienburg am 12. Mai 2001:

Viele GRÜNE aus Niedersachsen und der ganzen Bundesrepublik haben sich im März an den gewaltfreien Protesten gegen die Atomtransporte von La Hague nach Gorleben beteiligt. Die Erfahrungen vor Ort haben gezeigt, dass es in der Region um Gorleben keine Akzeptanz für das atomare "Entsorgungszentrum" gibt, das in den letzten 25 Jahren über dem als Endlager ungeeigneten Salzstock Abschnitt für Abschnitt geplant, gebaut und genehmigt worden ist.

Seit im Jahr 1977 Gorleben wider besseren Wissens als Endlagerstandort bestimmt wurde, kann der Staat dort nur mit unverhältnismäßigen Polizeieinsätzen den Bau der Atomanlagen und die Atomtransporte durchsetzen. Auch im März 2001 ging die Hoffnung nicht auf, der Konflikt um Gorleben sei mit den im Atomkonsens getroffenen Regelungen zwischen der Bundesregierung und der Atomindustrie befriedet. Im Gegenteil: Unterstützt von den großen Umweltverbänden sind mehr Menschen als bei den vorhergehenden Transporten auf die Strasse gegangen. Nur die Einschränkung von Bürger- und Demonstrationsrechten und der größte Polizeieinsatz in der Geschichte der Bundesrepublik konnten den Castortransport durchsetzen.

Die GRÜNEN in Niedersachsen erwarten, dass nicht verstärkte Repressionen die Antwort auf die andauernden Proteste in Gorleben sind. Wir fordern Innenminister Otto Schily auf, den Vorwurf zurückzunehmen, bei den Aktionen von Robin Wood und Greenpeace handele es sich um schwerste Gewaltkriminalität. Auch der Innenminister des Landes Niedersachsen muss seine überzogenen Gewaltvorwürfe korrigieren.

Die Verfahren zum Entzug der Gemeinnützigkeit von Greenpeace und Robin Wood sind umgehend einzustellen. Das Vorgehen gegen die Umweltbände ist der Versuch, diese Organisationen und ihre Aktionen des zivilen Ungehorsams zu diffamieren. Wir GRÜNEN in Niedersachsen halten die Absicht, in diesem Jahr einen weiteren Transport nach Gorleben durchzuführen, für unverantwortlich. Dieses Vorhaben ist weder den Menschen im Landkreis Lüchow-Dannenberg noch der Polizei zuzumuten.
Wir sind sehr enttäuscht vom Ablasshandel, durch den sich der Ministerpräsident Gabriel seine Argumente gegen die dauernden Ausnahmezustände im Wendland hat abkaufen lassen. Wir wollen endlich mehr Politik statt immer mehr Polizei. Wenn sich die Menschen im Wendland ein weiteres Mal getäuscht fühlen, wird der Protest weiter ansteigen. Das Wendland kann auf die Unterstützung der GRÜNEN in Niedersachsen zählen.

Ein verantwortliches Vorgehen bei der Endlagersuche, ein neues Gesamtkonzept für die Zwischen- und Endlagerung von Atommüll und einen schnelleren Ausstieg aus der Wiederaufarbeitung von Atommüll wollen die niedersächsischen GRÜNEN durchsetzen. Die ungelösten Probleme der Lagerung von Atommüll stellen unseren Landesverband vor besondere Aufgaben, da mit Ausnahme von Morsleben (Sachsen-Anhalt) alle Endlagerstandorte der Bundesrepublik sich in unserem Bundesland befinden. Bisher ist nicht absehbar, wann, ob und wie die Endlagerstandorte, die ohne systematische Standortbewertung in den 70er
und 80er Jahren benannt worden sind, mit anderen potenziellen Standorten verglichen werden. Die niedersächsischen GRÜNEN halten eine neue Standortauswahl und eine vergleichende Prüfung und Erkundung auf der Grundlage von Akzeptanz und Transparenz für den einzig verantwortbaren Weg bei der Planung und Errichtung eines Endlagers von Atommüll.

Die berechtigte Angst der Menschen vor atomaren Unfällen erschwert eine solche Standortsuche. Wir erwarten, dass die Bundesregierung sich dieser Aufgabe trotzdem verantwortlich stellt. Akzeptanz ist aber nur dann zu erwarten, wenn der Prozess für Fachwelt und Öffentlichkeit transparent, nachvollziehbar
und frei von Willkür gestaltet wird.

Zu den niedersächsischen Atommülllagerstätten geben die niedersächsischen GRÜNEN folgende Erklärung ab:

Gorleben
Der Salzstock Gorleben ist als Endlager für radioaktiven Müll ungeeignet, da u.a. ein Deckgebirge als natürliche geologische Barriere fehlt. Trotzdem hält die Atomwirtschaft an ihren Plänen fest, dort ein Endlager für Atommüll zu errichten. Und in der Begründung für die derzeitige Unterbrechung der Erkundung
(Moratorium) wird deutlich, dass die notwendigen Konsequenzen aus der Nichteignung des Salzstockes nicht gezogen worden sind. Dass auf viele Jahre hinaus der hochradioaktive Atommüll aus der Wiederaufarbeitung im Ausland ins Gorlebener Zwischenlager verbracht werden soll, schürt den Eindruck, dass trotz Moratorium am Endlager in Gorleben festgehalten werden soll. Eine weitere Vorfestlegung sehen wir in der erfolgten Genehmigung der Pilotkonditionierungsanlage vom Dezember 2000.

Wir bekräftigen unsere Auffassung, dass die Pläne für ein Endlager Gorleben wegen der Nichteignung des Salzstockes aufgegeben werden müssen. Das Moratorium ist ein Kompromiss, der nur verantwortbar ist, wenn es zu einer neuen Suche nach einem geeigneten Standort kommt. Einer gründlichen vergleichenden Suche widerspricht die Befristung des Moratoriums. Um Glaubwürdigkeit zurückzugewinnen, muss die Bundesregierung diese Befristung aufheben. Die niedersächsischen GRÜNEN teilen die Auffassung von Bürgerinitiativen und Umweltverbänden, dass durch Zwischenlagerung und Betrieb der Konditionierungsanlage Sachzwänge geschaffen werden, die den ungeeigneten Endlagerstandort Gorleben zementieren. Solange eine Politik des Faktenschaffens erfolgt, wird es in der Region, mit Unterstützung der niedersächsischen GRÜNEN, heftigen Protest geben.

Schacht Konrad ( Salzgitter)
Die Absicht der Bundesregierung, in Deutschland nur noch ein Endlager für alle radioaktiven Abfälle zu errichten wird von uns unterstützt, weil dadurch die Risken der Atommülllagerung reduziert werden. Das Ein-Endlager-Konzept ist jedoch mit der Genehmigung eines Endlagers für nichtwärmeentwickelnden
Atommüll nicht zu vereinbaren, da es dafür keinen Bedarf mehr gibt. Den mit der Atomindustrie ausgehandelten Kompromiss, für Schacht Konrad eine Genehmigung ohne Sofortvollzug zu erteilen, lehnen wir wegen der fehlenden Einigung über Kriterien zur Standortsuche und Langzeitsicherheit ab. Wir bekräftigen erneut unsere Position, dass Schacht Konrad nicht genehmigt werden darf. Wir werden
deshalb weiterhin die Arbeit von Initiativen, Verbänden und niedersächsischen Kommunen gegen die Genehmigung und Inbetriebnahme von Schacht Konrad unterstützen.

Dezentrale Zwischenlager an den Standorten von Atomkraftwerken
Die niedersächsischen GRÜNEN halten es grundsätzlich für sinnvoll, die abgebrannten Brennelemente vorübergehend am Kraftwerksstandort zu lagern, bis ein Endlager betriebsbereit ist. So kann das Verschieben des deutschen Atommülls über Auslandswiederaufarbeitung und zentrale Zwischenlagerung beendet werden. Hart zu kritisieren sind allerdings die bisher von der Atomindustrie vorgelegten
Anträge für diese neuen dezentralen Zwischenlager. Weder wird versucht, bestmögliche Sicherheit zu gewährleisten, noch ist die Kapazität der Lager gekoppelt an die im letzen Jahr ausgehandelten Reststrommengen für die Atomkraftwerke. Wir halten dieses Vorgehen der Atomwirtschaft für eine
Provokation. Wer Zwischenlager beantragt, deren Kapazität eine weitere Betriebszeit von Jahrzehnten ermöglicht und wer sich darüber hinaus weigert, für Hallen und Lagerbehälter den aktuellen Stand von Wissenschaft und Technik zu berücksichtigen, der stößt zwangsläufig auf Ablehnung und Protest.
Die niedersächsischen GRÜNEN unterstützen die Proteste gegen die vorgelegten Pläne zu den Zwischenlagern an den Atomkraftwerken in Lingen, Grohnde und Esenshamm. Unsere Zustimmung zu den Lagern machen wir abhängig von der Erfüllung dreier Bedingungen: Für die Bevölkerung muss größtmöglicher Schutz gewährleistet werden (Mehrbarrierensystem) und die Kapazitäten der Lager müssen
zumindest an die vereinbarten Reststrommengen gekoppelt werden. Auch dürfen die Zwischenlager
nicht zum Endlager werden, die Genehmigung ist deshalb zeitlich zu begrenzen.

Alle drei Voraussetzungen liegen derzeit nicht vor. Aus diesem Grund unterstützen die niedersächsischen GRÜNEN die Initiativen, die sich an den Standorten gegen die Planungen der Atomkonzerne E.ON und RWE zur Wehr setzen. Wir fordern beide Unternehmen auf, ihre provozierenden Planungen zurückzunehmen und zu überarbeiten. Wir fordern von der Bundesregierung, auf die Antragsteller
in diesem Sinne einzuwirken. Die Zwischenlager dürfen in der beantragten Form nicht genehmigt werden.

Wiederaufarbeitung in La Hague und Windscale/Sellafield
Die Transporte aus deutschen Atomkraftwerken in die Wiederaufarbeitungsanlagen in England und Frankreich, die unmittelbar nach dem Gorleben-Transport wieder aufgenommen worden sind, zeigen, wie weit entfernt die Atomwirtschaft davon ist, die nationale Verantwortung für ihre Altlasten zu übernehmen. Der Gorleben-Transport war der Türöffner, der es ermöglichte, den deutschen Müll wieder über die Grenzen zu verschieben. Aus unserer Sicht sind deshalb auch die Proteste gegen die Transporte ins Ausland gut begründet. Die GRÜNEN in Niedersachsen unterstützen die Proteste gegen die Wiederaufarbeitung von Atommüll in England und Frankreich.
Für die GRÜNEN in Niedersachsen ist eine unabdingbare Voraussetzung für die Akzeptanz eines verantwortbaren Konzepts im Umgang mit dem Atommüll, dass die vorhanden Widersprüche zwischen den neuen politischen Zielen in der Atompolitik und dem Umgang mit den betroffenen Standorten aufgelöst werden.

 

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