An den Minister für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit
Herrn Jürgen Trittin
persönlich
Alexanderplatz 6
10178 Berlin

Berlin, den 06.12. 2000

betr.: Kein Sicherheitsdumping am Atomkraftwerk Stade


Sehr geehrter Herr Minister, lieber Jürgen,

Ich wende mich an Dich wegen der Sicherheitsprobleme am Atomkraftwerk Stade. Vor einigen Tagen wurde bekannt, daß der Betreiber dieser Anlage den freizuhaltenden Platz im Abklingbecken dazu nutzen will, um beim nächsten Brennelementewechsel dort die abgebrannten Stäbe vorläufig zu lagern. Da dieser Wechsel spätestens im Februar 2001 anstünde, zu diesem Zeitpunkt wegen des in Frankreich geltenden Transportestopps das Abklingbecken noch nicht von den übrigen "verbrauchten" Brennelementen frei sei, würde der Betreiber dadurch eine vorübergehende Abschaltung des Reaktors umgehen.

Pressemeldungen entnehme ich, daß der Umweltminister des Landes Niedersachsen dem Betreiber in dieser Sache entgegenkommen und eine Besetzung des freien Platzes im Abklingbecken genehmigen will. Damit wäre es nicht möglich, bei einem schweren Störfall die laufenden Brennelemente der Anlage "aus dem Verkehr zu ziehen" und in das Abklingbecken zu verlegen. Diese Möglichkeit ist aber nach den geltenden Entsorgungsgrundsätzen in Deutschland ausdrücklich vorgeschrieben. Daß die Brennelemente aus dem Reaktor in das Wasserbecken verlagert werden können, hat auch seinen guten sicherheitstechnischen Sinn, um bei schweren Havarien noch schlimmere Auswirkungen für die Arbeitenden im Kraftwerk, die umwohnende Bevölkerung und für die Umwelt zu verhüten.

Lieber Jürgen,

Ich bitte Dich inständig und eindringlich, als für die nationale Reaktorsicherheit zuständiger Minister einzugreifen und dem niedersächsischen Umweltminister ausdrücklich die beabsichtigte Genehmigung einer vollen "Bestückung" des Abklingbeckens am Atomkraftwerk Stade zu untersagen. In den Diskussionen um den "Atomkonsens" hast Du - wie auch alle anderen politisch Verantwortlichen in Deinem Ministerium - immer klar und unmißverständlich erklärt, daß es irgendeine Absenkung der Sicherheitsstandards nicht geben werde. Die geplante Genehmigung für das Atomkraftwerk Stade ist eine solche Absenkung der Standards. Sie schafft zudem einen gefährlichen Präzedenzfall für andere Atomkraftwerke in Deutschland. Die Betreiber anderer Atomkraftwerke in Deutschland werden sich, wie möglicherweise die UmweltministerInnen auch anderer Bundesländer, auf diesen Präzedenzfall berufen.

Der Fall Stade ist insofern von nationaler Bedeutung und ruft fordert ein Handeln des Bundes-Umweltministers geradezu heraus. Du als verantwortlicher Minister hast nicht nur die Pflicht sondern auch die Möglichkeit hierzu, da die nationalen Entsorgungsgrundsätze das Ansinnen der Betreiber von Stade ausdrücklich ausschließen.

Wegen der Bedeutung der Angelegenheit bitte ich Dich, lieber Jürgen, in jedem Fall um Antwort auf diesen Brief. Du wirst auch sicher verstehen, wenn ich mein Schreiben der parteiinternen Öffentlichkeit zugänglich mache.

Mit sonnigen Grüßen


Hartwig Berger, MdA Berlin,
Sprecher des Energiepoltischen Ratschlags von Bündnis 90/Die Grünen

Berlin, 06.12. 00

 

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