Berlin, den 14.09.2001

Hartwig Berger,
MdA und Sprecher des Energiepolitischen Ratschlags Bündnis 90/die Grünen

An den
Minister für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit
Jürgen Trittin
persönlich
Und zur Kenntnis
An die Fachabgeordneten für Umwelt und Inneres der Grünen im Bundestag, sowie den
Präsidenten des Bundesamts für Strahlenschutz, Wolfram König

Betr.:
Sicherung von Zwischenlagern für hochradioaktive Abfälle gegen Terroranschläge und Flugzeugabstürze.

Sicherheitsüberprüfungen von Atomkraftwerken aus demselben Grund

Lieber Jürgen,

Ich schreibe Dir, weil die schrecklichen Anschläge in New York und Washington auch für die Atom- und reaktorsicherheit Folgen haben, ohne damit unterstellen zu wollen, dass Du nicht selbst darüber längst nachdenkst.

1.
Bekanntlich ist das Thema "dezentrale Zwischenlager" auch unter Grünen PolitikerInnen umstritten. Es gab dazu in den vergangenen Monaten verschiedene briefliche Stellungnahmen und Kontroversen. Ich schreibe Dir heute, weil ich meine, dass eine wichtigen Teilfrage des Problems jetzt schnell und einhellig geklärt werden kann und sollte: Nach dem Terroranschlägen in den USA ist es m.E. zwingend, auf einer Auslegung aller geplanten dezentralen Zwischenlager gegen gezielte und verbrecherisch herbeigeführte Flugzeugabstürze dieses Ausmaßes zu bestehen. Zugleich sollten und müssen alle bestehenden Zwischenlager für hochradioaktive Abfälle entsprechend nachgerüstet werden. Denn wir alle wissen, welche schrecklichen Folgen eine Zerstörung der Lager mit Freisetzung von Radioaktivität aus dadurch beschädigten Behältern für Brennelemente haben kann.

Meines Wissens ist es technisch ohne weiteres möglich, Lagerhallen zumindest soweit gegen Flugzeugabstürze als gezielte Bomben auszurichten, dass eine Beschädigung der Ummantelung nicht zugleich die zusätzlich gesicherten CASTOR-Behälter zerstört. Zusätzlich können Zwischenlager auch unter der Erde angelegt werden. Selbstverständlich wird der Bau von Lagerhallen nach solchen Standards teurer und aufwendiger. Aber Du teilst sicher meine Auffassung, dass dieses kein Argument gegen die hohen Sicherheitsrisiken sein darf.

Ich bitte Dich auch dringend, auf einer entsprechenden Nachrüstung bestehender Zwischenlager zu bestehen. Mit den Terrorangriffen gegen das World Trade Center und das Pentagon ist eine neue "Erkenntnislage" entstanden, was die Risiken und die erforderlichen technischen Sicherheitsrisiken betrifft. Insofern verpflichtet Dich m.E. auch das Atomgesetz zum Handeln. Wir alle wissen, um wie viel fürchterlicher die Folgen des Anschlags gewesen wären, hätten sie sich gegen eines der vielen Atomkraftwerke gerichtet, die nicht, oder nicht ausreichend gegen Flugzeugabstürze gesichert sind.

2.

Lieber Jürgen,
Sicherlich verfolgst Du mit Aufmerksamkeit die öffentliche Debatte über die Sicherung laufender Atomkraftwerke gegen Terroranschläge, wie sie jetzt New York und Washington erleben mussten. Ich meine, dass die neue Situation auch die Sicherheitsphilosophie in der Atompolitik verändert. Wir wissen alle, dass die Atomkraftwerke nicht oder nur unzureichend gegen Terrorangriffe dieser Art ausgelegt sind und dass die Folgen eines solchen Angriffs ungleich fürchterlicher wären. Ich bitte Dich daher dringende, für alle laufenden Atomkraftwerke eine Sicherheitsüberprüfung einzuleiten, die diesen schrecklichen Eventualfall zum Anlass hat. Wenn diese Überprüfung zu negativen Ergebnissen führt, müssen entsprechende Vorsorgemaßnahmen getroffen werden. Das Atomgesetz gibt m.E. auch im §17 die rechtliche Handhabe für den Widerruf der Betriebsgenehmigung. Sie "sind außerdem zu widerrufen, wenn dies wegen einer erheblichen Gefährdung ... erforderlich ist und nicht durch nachträgliche Auflagen in angemessener Zeit Abhilfe geschaffen werden kann."


3.
Lieber Jürgen,
Ich will mit diesem Brief den Teufel nicht an die Wand malen. Ich habe auch überhaupt keine Lust, angesichts die sich abzeichnenden weltpolitischen Wetterwolken zur Bestätigung meiner atompolitischen Einschätzungen zu nutzen. Die einzig wirksame Sicherheitsphilosophie ist hier die Vermeidung einer unsäglichen Eskalationslogik von menschenverachtendem Terrorismus und blindem Vergeltungskrieg, der ebenso unschuldige Menschen zu Geiseln macht.. Ich möchte Dich daher: ermutigen, Dich hier deutlich als verantwortlicher Umweltminister zu engagieren und zu erklären. Denn der vielbeschworene Krieg des 21. Jahrhunderts wird wahrscheinlich immer stärker ein Umweltkrieg sein, in dem der erklärte "Feind" oder "Gegner" über ökologische Katastrophen getroffen wird. Moderne Industriegesellschaften sind durch hochriskante Anlagen wie u.a. AKWs unglaublich verwundbar. Darum sollten sich gerade Umweltpolitikerinnen klar und unmissverständlich gegen die unheilvolle Logik von Vergeltung und Militärschlägen aussprechen, die wir mit der Haltung des USA-Präsidenten und der Erklärung des Bündnisfalls durch den NATO-Rat zu befürchten haben. Noch ist es nicht zu spät, gegen den Strom der militärischen Eskalation zu schwimmen. Dazu möchte ich Dich gerade als den Minister für Umwelt und Reaktorsicherheit ermutigen.

Du wirst verstehen, dass ich diesen Brief auch an die verantwortlichen Bundestagsabgeordneten weiterleite und parteiintern verbreite.

Mit freundlichen Grüßen

Hartwig Berger, MdA