Dienstag 18. September 2001, 15:51 Uhr
ap

Absturz auf La Hague laut Studie schlimmer als Tschernobyl

Wise-Paris fordert als Konsequenz aus Terrorakten schärfere Sicherheitsmaßnahmen für Atomanlagen
Paris (AP) Schon die teilweise Zerstörung der französischen Wiederaufarbeitungsanlage La Hague etwa durch einen Flugzeugabsturz würde einer Studie zufolge die Katastrophe von Tschernobyl in den Schatten
stellen. Das kleinste Abklingbecken enthalte selbst halbvoll bereits 67 Mal so viel Cäsium-137, wie bei dem bislang schwersten Reaktorunfall freigesetzt worden sei, heißt es in einer Studie der atomkritischen Expertengruppe Wise-Paris für das Europäische Parlament.

Die französische Aufsichtsbehörde ASN bekräftigte am Dienstag, dass die Atomanlagen des Landes nicht für den Aufprall eines großen Zivilflugzeugs ausgelegt seien. Dieser Unfall sei für derart unwahrscheinlich gehalten worden, dass er bei der Planung nicht berücksichtigt worden sei, sagte ASN-Direktor Andre-Claude Lacoste dem Fernsehsender France-2. Seiner Behörde zufolge können die Anlagen dem Absturz von Flugzeugen bis zu 5,7 Tonnen stand halten.

«Wir müssen jetzt umdenken», forderte der Direktor von Wise-Paris, Mycle Schneider. Er sprach sich für drastische Konsequenzen aus den Terroranschlägen in den USA aus, etwa der Stationierung von Flugabwehrgeschützen bei der WAA in der Normandie.

Seiner Studie liege ein bislang «glaubwürdiges Unfallszenario» wie Feuer oder Explosion zu Grunde. Bislang habe man nach der Formel gehandelt: «Schwerwiegende Folgen mal geringe Wahrscheinlichkeit gleich akzeptables Risiko», sagte Schneider der AP: «Das gilt jetzt nicht mehr.» Dem Aufschlag eines vollgetankten Verkehrsflugzeugs würde selbst der Plutoniumbunker in La Hague nicht stand halten, wo den Angaben zufolge mehr als 80 Tonnen des hochgiftigen Stoffs in Pulverform gelagert sind.

In dem in der Untersuchung durchgespielten Fall würden 1,76 Tonnen Cäsium-137 freigesetzt. Bis zu 1,5 Millionen Menschen könnten an Krebs sterben. In der Dienstagausgabe der Zeitung «Liberation» skizzierte
Schneider weitere Schreckenszenarien: «Ein Flugzeug könnte auf ein größeres Abklingbecken stürzen oder mehrere Becken in Mitleidenschaft ziehen.» Er wies darauf hin, dass in La Hague mit über 7.000 Tonnen radioaktiver Stoffe ein Vielfaches des in Kernkraftwerken vorhandenen Atommaterials lagere.

Die Studie für das Institut für Technikfolgeabschätzung des Europäischen Parlaments vom August dieses Jahres soll im Oktober veröffentlicht werden.
Von der Cogema, die die WAA in La Hague betreibt, war zunächst keine Stellungnahme zu erhalten.

http//:www.wise-paris.org

http//:www.cogema.fr