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Berlin, 06.06.00

Für die BAG Energie:

Hartwig Berger, MdA ,Berlin:
Ursula Schönberger, Braunschweig


Stellungnahme zur Strahlenschutzverordnung
Nach dem Gespräch im BMU am 29.05.


Nach Auswertung des Gesprächs im BMU sehen wir die Position des BDK-Antrags der LAG Brandenburg-Berlin zum Strahlenschutz bestätigt. Wir haben aus dem Gespräch keine schlüssigen Argumente mitnehmen können, die die Kritik am BMU-Entwurf der Strahelnschutzverordnung entkräftet, nämlich:

1. Daß die Verordnung in einigen Punkten zwar insofern Verbesserungen bringt, als sie jetzt strengere Vorschriften einer EU-Richtlinie in nationales Recht umsetzt.
2. Jedoch, bei wenigen Ausnahmen, nicht den Spielraum nutzt, über das Minimum der EU-Richtlinie hinauszugehen (wichtige positive Ausnahme ist die Senkung des Störfallwerts).
3. Das ist vor allem deshalb von großem Nachteil, weil der Stand der wiss. Erkenntnis inzwischen zu weit höheren Risikoabschätzungen für radioaktive Niedrigstrahlung führt (Steigerung des Risikos um mindestens den Faktor 10, während zB der Grenzwert für beruflich strahlenexponierte Personen (zB in AKWs) entsprechend der EU-Richtlinie nur um den Faktor 2,5 gesenkt wurde. Der Grenzwert für die normale Bevölkerung wurde überhaupt nicht gesenkt).
4. Schließlich gibt es höchst strittige Punkte, in denen KritikerInnen mit nachvollziehbaren Argumenten teils Verschlechterungen, teils deutliche Defizite des Verordnungs-Entwurfs ausmachen. Erstens betrifft das die Verallgemeinerung des Grenzwerts für "außerbetriebliche Überwachungsbereiche" auf die gesamte Bevölkerung. Zweitens ist das die Regelung zur Freigabe gering verstrahlter Materialien in die allgemeine Entsorgung und Verwertung von Abfällen und Wertstoffen.

Die anwesenden Fachleute des BMU konnten die mit 2.-4. angesprochenen Probleme nicht ausräumen.

Positiv allerdings werten wir die Zusicherung des BMU, die Festschreibung eines Zwei-Klassen-Strahlenschutzes( schlechtere Regelungen für "Arbeiten", verglichen zu "Tätigkeiten") zurückzunehmen und den besonderen Schutz schwangerer Frauen und ungeborenen Lebens nicht aufzuweichen. Wir begrüßen ausdrücklich, wenn das BMU das Betretungsverbot des Kontrollbereichs für Schwangere in den Entwurf wieder aufnimmt. Diese Zusicherungen müssen allerdings noch eingelöst werden. Dann allerdings wäre den Forderungen 2. und 3. im BDK-Antrag ( nicht gleich Ziffern dieses Papiers!) entsprochen.

Im Gespräch spielte die Frage des Grenzwerts für die gebärfähigen Frauen eine besondere Rolle. Wir plädieren dafür, daß der niedrige Grenzwert - also der höhere Strahlenschutz -beibehalten, jedoch auch auf die Männer ausgedehnt wird. Erst dann wird im übrigen in den Einrichtungen für die notwendigen Umorganisationen Sorge getragen. Damit bliebe dann auch gewährleistet, daß Frauen die entsprechenden Berufe ergreifen können.

In den Punkten 1. und 4. des BDK-Antrags müssen Kritik und Forderungen auch nach dem BMU-Gespräch aufrechterhalten werden. So wurde die Zusammenstellung des anerkannten Strahlenbiologen Prof. Köhnlein weder auf dem Fachgespräch der Bundestags-Fraktion am 12. April, noch beim Gespräch im BMU in Zweifel gezogen. Sie ergibt, daß das Strahlenkrebsrisiko heute mehr als 10x höher eingeschätzt wird als in den Internationalen Empfehlungen, die der alten Strahlenschutzverordnung zugrundeliegen. Dieser Erkenntnisfortschritt spiegelt sich nicht in einer dem auch nur annähernd entsprechenden Senkung der Grenzwerte wider. Völlig unverständlich ist, daß in den meisten Fällen die Grenzwerte überhaupt nicht gesenkt werden. Unseres Erachtens. kann das kein/e Grüne/r Politiker/in sehenden Auges vertreten!

Im Gespräch wurde mehrfach darauf hingewiesen, daß Grenzwerte - insbesondere die Einführung von 1 mSv für die Gesamtbevölkerung - so gewählt wurden, da ansonsten medizinische Einrichtungen einen zu hohen Aufwand hätten, den Schutz von AnwohnerInnen zu gewährleisten. Dieser Argumentation können wir nicht folgen. Es ist nicht einzusehen, weshalb Menschen, die in der Nähe einer Arztpraxis mit Röntgengeräten wohnen, höheren radioaktiven Dauerbelastungen ausgesetzt sein sollen. Der Schutz der Bevölkerung muß auch hier vor ökonomischen Interessen stehen. Sollte ein verbesserter Strahlenschutz dazu führen, daß künftig nur noch in den tatsächlich notwendigen Fällen und in der Regel nur in speziellen Röntgenpraxen Röntgenaufnahmen durchgeführt werden, so ist dies eine positive Wirkung der Verordnung - für die AnwohnerInnen, die PatientInnen und das madizinische Personal.

Schwer durchschaubar ist die sehr kontroverse Debatte um die Freigaberegelung. Es gibt vielerorts ein großes Unbehagen, die Freigabe jetzt bundeseinheitlich zu regeln (was relativ eine Verbesserung zu sein scheint), statt den Versuch zu unternehmen, sie gänzlich zu unterbinden. Erstens ist insbesondere bei einer Wiederverwertung von radioaktivem material nicht auszuschließen, daß es im Einzelfall auch zu einer Anhäufung von Kontakt mit diesem Material kommt. Zweitens werden durch die Freigabe radioaktive Materialien in großem Umfang in den Umlauf gebracht, die auch bei einer künftigen Neubewertung von Strahlenwirkungen nicht rückholbar sind. Und drittens stellt sich mit der Freigabe generell das Problem illegaler Praktiken in der Abfallentsorgung, die wir im konventionellen Bereich der Abfallwirtschaft insgesamt zu beklagen haben.

Wenn nun das BMU am Weg der Freigabe festhält, bleiben aber i.w. zwei kritische Einwände offen. Sie konnten auch im BMU-Gespräch nicht geklärt werden:

a. Die zulässige Konzentration an Radioaktivität liegt für viele, wenn nicht die meisten Stoffe, in Deutschland deutlich höher als etwa in Großbritannien.
b. Die zulässige Strahlendosis von 10 Mikrosievert pro Jahr für Freigaben ist nur ein Richtwert. In Einzelfällen muß damit gerechnet werden, daß er um mehrere Größenordnungen überschritten wird. Es bleibt unklar, wie selten und wie unwahrscheinlich solche Überschreitungen sind. Auszuschließen sind sie aber offensichtlich nicht.

Aus den genannten Gründen bleiben wir dabei:

Der Entwurf der Strahlenschutzverordnung muß in allen vier im BDK-Antrag genannten Punkten verbessert werden. Es wäre gut, wenn sich die politische Leitung des BMU zu diesem Schritt entscheidet. In diesem Fall könnte der Antrag auf der BDK, mit entsprechenden Glättungen und Verschönerungen, im Konsens verabschiedet werden. Keinesfalls dürfen wir jedoch im Strahlenschutz wohlbegründete Grüne Grundpositionen räumen oder schlicht die Augen davor verschließen, daß die jetzige Verordnung den Ansprüchen eines strengen Schutzes von Gesundheit und Leben nicht entspricht.

Hartwig Berger, Berlin
Ursula Schönberger, Braunschweig

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