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Traute Kirsch / Sebastian Schönauer

06.01.2001

Außer Acht gelassene Gesundheitsschäden als
"Voraussetzung" der Atomkraftnutzung

Die gesundheitsschädigenden Folgen von Niedrigstrahlung sind immer wieder Gegenstand heftiger Auseinandersetzungen zwischen Gegnern und Befürwortern der Nutzung der Atomkraft.

Das Problem ist, dass die Auswirkungen radioaktiven Belastungen z. B. in Form von Krebserkrankungen oder Erbschäden nicht in unmittelbarem Zusammenhang mit den verursachenden radioaktiven Belastungen sichtbar werden.
Oft vergehen Jahr, ja sogar Jahrzehnte, bis sie auftreten. Diesen Umstand nutzt die Atomwirtschaft aus und versucht solche gesundheitliche Schäden, die im Fachjargon als "stochastisch" bezeichnet werden, herunter zu spielen.

So war die Frage der stochastischen Schäden erst jüngst Thema einer Leserbriefdiskussion zwischen der Nix-Da-Redaktion (Redaktion der Homepage der BI Lüchow-Dannenberg) und dem Physiker Helmut Kowalewsky. Dieser zweifelte die hohe Zahl an Toten an, die das ZDF in einem Bericht dem Atomunfall in Tschernobyl zuschrieb, und zeigte sich von der Berichterstattung geschockt. Die Nix-DA-Redaktion hingegen warf ihm vor, dass er einen schwerwiegenden Fehler begehe, wenn er bei den Schadensfolgen der Atomkraftnutzung die stochastischen Folgewirkungen außer acht lasse.

Doch in Wirklichkeit handelt es sich bei diesem vermeintlichen "Fehler" um ein Verdrängen der atomaren Risiken aus dem menschlichen Bewusstsein und damit um die" Existenzfrage" für die weitere Nutzung der Atomkraft.
Die riesigen Mengen an niedrigstrahlendem Atommüll, der über die Ablagerung in unserer Umwelt "beseitigt" werden soll, die überhöhte Strahlung aus Castor-Behältern, und schließlich der Nachweis, bzw. Verdacht höherer Krebsraten in der Umgebung von Atomanlagen, sollen hier als einige der Probleme genannt werden, derer sich die Atomindustrie gerne entledigen möchte. Ein Weiterbetrieb der Atomkraft kann jedoch nur dann rechtlich als gesichert gelten, wenn die stochastischen Schadensfolgen außer acht gelassen werden.
Das heisst: Die "Vernachlässigung", bzw. die Nichtbeachtung der stochastischen Schäden ist unabdingbare Voraussetzung ,und damit das "Grundprinzip" für die weitere Nutzung der Atomkraft.

An dieser Stelle der Atomausstiegsdiskussion muss festgestellt werden, dass, allein unter Beachtung der gesundheitlichen Schäden, die den Langzeitwirkungen der radioaktiven Niedrigstrahlung aus der Nutzung der Atomkraft zuzuordnen sind, die Genehmigungen für den Betrieb der Atomkraftwerke zurückgenommen werden müssen.

Die Nichtanerkenntnis oder dieses "Nicht zur Kenntnis nehmen wollen" dieser Langzeitwirkungen bedeutet, dass nur gesundheitliche Schadensfolgen mit "deterministischem Charakter" also individuelle Krebserkrankungen , bei denen der Verursacher einwandfrei nachgewiesen werden kann, von den Betreibern atomtechnischer Anlagen zu berücksichtigen sind.
Strahlenexpositionen haben nach "der herrschenden Sicherheitsphilosophie" solange als vernachlässigbar (irrelevant) zu gelten, als sie nicht nachweislich unmittelbar zu gesundheitlichen Schäden führen.
Das gilt auch für Castorbehälter und die aus ihnen entweichende Strahlung. Das bedeutet, nur wenn die Strahlung aus den Castoren so hoch wäre, dass im Anschluss an Transporte beim Begleitpersonal und den "schützenden" Polizisten mit strahlenbedingten Krankheiten gerechnet werden müsste, erst dann sähen sich die Behörden gezwungen, einzugreifen und Maßnahmen auch rechtlicher Art durchzuführen.
Daraus ergibt sich "zwingend", dass die Vernachlässigbarkeit stochastischer Schäden mittlerweile auch die "Sicherheitsphilosophie beherrscht, aufgrund derer die Kriterien erstellt werden, mit denen der angeblich sichere Betrieb der Atomkraftwerke gewährleistet werden soll.
Das frühere Prinzip, dass grundsätzlich alle mit der Nutzung der Atomkraft verbundenen Risiken zu minimieren seien, wurde durch der Atomindustrie "wohlgesonnene Politiker quasi ausser Kraft gesetzt.
Die vom Grundgesetz verlangte Risikovorsorge existiert de facto nicht mehr.
Für den Weiterbetrieb der Atomkraftwerke hat dies die (fatale ) Bedeutung, dass der Betrieb der AKWs so lange als sicher angesehen wird, als eine Atomkatastrophe nicht mit Sicherheit zu erwarten ist.

Entsprechend dieser Betrachtungsweise wird auch der juristisch relevante Stand von Wissenschaft und Technik ausgelegt. D. h.: Nach der herrschenden Rechtsauffassung sind nur zu erwartende deterministische Schadensfolgen Maßstab dafür, ob Atomanlagen dem Stand von Wissenschaft und Technik entsprechen.
Diese Rechtsauffassung wurde von der Atomindustrie durchgesetzt mit dem Hinweis darauf, dass Strahlenexpositionen und die durch sie verursachten individuellen Krebserkrankungen nicht in einen Kausalzusammenhang gebracht werden könnten. Die Atomlobby argumentiert, ohne einen solchen direkten, kausalen, also "deterministischen Nachweis" sei es unzumutbar, individuelle Krebserkrankungen einzelnen Atomanlagen anzulasten, weil dies folgerichtig zur Stillegung von AKWs und zur Beendigung der Atomkraftnutzung führen würde.

Dass Ergebnis dieser Rechtsauffassung ist: Stochastische Schäden werden außer acht gelassen.

Zusätzliche Todesfälle, die aufgrund der Erhöhung des Strahlenpegels in der Umwelt (der sogenannten Hintergrundstrahlung) eintreten, sind dann ebenfalls stochastische Schäden und damit irrelevant.

Offensichtlich ist man bemüht, diese Betrachtungsweise zu verschleiern und die sich hier abzeichnende Entwicklung zu verharmlosen. So bezeichnet man die derzeitige Hintergrundstrahlung insgesamt als "natürlich" obwohl in dieser Gesamtstrahlung aufgrund von Radioaktivitätsfreisetzungen aus der Nutzung der Atomkraft und besonders aus Atombombenabwürfen, wie "Atombombentests" große Anteile vom Menschen verursachter, "künstlicher" atomarer Strahlung enthalten sind.

Der Bund für Umwelt und Naturschutz Deutschland - B U N D - sollte es deshalb als eine wichtige Aufgabe ansehen, der Öffentlichkeit die Bedeutung der stochastischen Schadensfolgen für die Gesundheit nahe zu bringen. Die Missachtung dieser gesundheitlichen Schadensfolgen aus der Atomkraftnutzung durch Politiker und Behörden muss angeprangert werden.

Das vorprogrammierte ständigen Steigen der stochastischen Schäden an Leben und Gesundheit ist eine überzeugende Begründung für die Forderung des BUND nach dem sofortigen Ausstieg.

Dies muss in der Öffentlichkeit diskutiert werden.

 

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