BDK-Antrag zur Beschneidungsdebatte bei Jungen (Rene Becker u.a.)

Antrag zur BDK in Hannover vom 16.-18.11.2012

Keine Beschneidung aus religiösen und traditionellen Gründen bei Jungen

Die Beschneidung von Jungen aus religiösen Gründen oder der Tradition wurde bis zur Verkündung des Urteil des Landgerichtes Köln vom 7. Mai. 2012 stillschweigend geduldet. Das Landgericht Köln kommt zu dem Urteil dass „dem Recht der Eltern auf religiöse Kindererziehung in Abwägung zum Recht des Kindes auf körperliche Unversehrtheit und auf Selbstbestimmung kein Vorrang zukomme“.

Für uns ist es selbstverständlich, dass in Deutschland Religion und Glaube vielfältig ausgelebt und erfahrbar werden müssen. Wir sind froh, dass das Judentum und der Islam ebenso wie das Christentum und Konfessionsfreie zu Deutschland gehören. Weiter wissen wir um die religiöse Bedeutung der Beschneidung von Jungen für die jüdische und muslimische Glaubenskultur. 

Die Bundesdelegiertenkonferenz möge beschließen: 

1. BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN lehnen die Beschneidung von Jungen ohne medizinische Indikation sowie aus religiösen Gründen oder aufgrund von Bräuchen unmissverständlich ab. Um dem Mißbrauch vorzubeugen, sollen in Zukunft medizinische Indikationen von Menschen, die vor der Religionsmündigkeit beschnitten werden sollen, gerichtsfest, zentral dokumentiert werden.

 2. BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN unterstützen und schützen ausschließlich und unwidersprüchlich die unteilbaren Rechte der Kinder und stärken diese in der Auseinandersetzung mit Religion und Tradition. Die körperliche Unversehrtheit der Kinder sowie  die UN-Kinderrechtskonvention sind die elementaren Rechte, hinter denen die religiösen und traditionellen Vorstellungen der Erziehungsberechtigten zurückstehen müssen. Die Religionsfreiheit der einen endet dort, wo Grundrechte anderer beeinträchtigt werden, sei es das Recht auf Leben und körperliche Unversehrtheit, auf Freizügigkeit, auf Bildung, auf sexuelle Selbstbestimmung, Gleichberechtigung usw.

3 . BÜNDNIS 90 / DIE GRÜNEN setzt sich dafür ein, dass die Durchführung der Beschneidung aus religiösen Gründen ausschließlich durch Ärztinnen und Ärzte erfolgen darf und nur bei Zustimmung des voll religionsmündigen Jungen straffrei bleibt. Die Beauftragung der Beschneidung, die in der Regel durch die Erziehungsberechtigten erfolgt, muss strafrechtlich als vorsätzliche Körperverletzung Relevanz finden und verfolgt werden, sofern der Junge die volle Religionsmündigkeit nicht erreicht hat.

4. BÜNDNIS90/DIE GRÜNEN setzt sich dafür ein, dass Angehörige der betroffenen Religionen mit Mitteln der Öffentlichkeitsarbeit des Bundesgesundheits- und Justizministeriums über den neuen rechtlichen Rahmen informiert. Auch die Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung, soll umfassend über die kurz- und langfristigen Risiken der Genitalbeschneidungen aufklären. 
Im Rahmen dieser Aufklärung wird insbesondere auch auf vorhandene alternative Willkommensriten der jeweiligen Religionen hingewiesen, bei denen die Genitalbeschneidung nur symbolisch vollzogen wird.

5. BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN fordern unabhängig von rechlichen Grundlagen, die Einsetzung eines Runden Tisches bestehend aus Religionsvertretern, muslimischen und jüdischen Befürwortern und Gegnern der Beschneidung, Psychologen, Psychoanalytikern, Kinderärzten, Kinderchirurgen, Kinderschützern und Vertretern der Jugendhilfe sowie weiteren Experten, um das Thema Beschneidung in Deutschland wissenschaftlich fundiert zu diskutieren und eine Strategie zu erarbeiten, welche alle Interessen, vor allem aber die Belange des Kindeswohls, berücksichtigt.


Begründung: 
Bei der Beschneidung eines nicht einwilligungsfähigen Kindes handelt es sich um einen Eingriff in das Grundrecht auf körperliche Integrität. Statt dem Kind eine Religionssfreiheit zu lassen, werden am Körper des Kindes Fakten geschaffen. 

Mediziner haben klar und sachlich deutlich gemacht, dass eine Beschneidung ein gravierender und irreparabler Eingriff in die körperliche Unversehrtheit eines Kindes ist. Psychologen befürchten Traumata. Bei ca. 10 % der sachgerecht durchgeführten Beschneidungen treten Komplikationen auf. Viele lebenslängliche Beeinträchtigungen, Vernarbungen und Entstellungen treten erst viele Jahre nach der Operation zutage. Zudem existieren zahlreiche Studien, die keine Vorteile einer Beschneidung als Baby oder im Kindesalter sehen und eine Rechtfertigung dieses Eingriffes im Sinne des Kindeswohls zeigen konnten. Das Überwiegen von negativen Auswirkungen einer Beschneidung auf die Psyche und die Genitalfunktion sind inzwischen unstrittig. 

Aus medizinischer und kultureller Perspektive ist es entgegen der landläufigen Meinung üblich, männliche und weibliche Formen der Genitalbeschneidung gemeinsam zu betrachten, zumal sowohl die Traumatisierungen, als auch die Auswirkungen auf die spätere Sexualität der Betroffenen bei beschnittenen Männern und Frauen größtenteils identisch sind. Es wäre überdies eine Verletzung des Gleichbehandlungsgrundsatzes nach GG Art. 3, wenn jüdische oder moslemische Jungen an ihren Genitalien verletzt werden dürften, Jungen anderer Konfession oder Glaubensrichtung sowie Mädchen generell jedoch nicht.

Unter Juden wird die Genitalbeschneidung seit den 1960er Jahren zunehmend kontrovers diskutiert, und die kritischen Stimmen, die sich gegen eine routinemäßige Beschneidung wenden, werden (auch unter jüdischen Müttern) lauter. Eine wachsende Zahl jüdischer Familien lassen ihre männlichen Nachkommen nicht mehr beschneiden und praktiziert ersatzweise z.B. eine sog. “Brit Shalom”, die den Beschneidungsakt nur symbolisch vollzieht und so den Betreffenden die Möglichkeit gibt, bei Erreichen der Religionsmündigkeit selbst über die eigene Beschneidung zu entscheiden.

Auch unter Muslimen gibt es einen kritischen Diskurs zum Thema Beschneidung. Da es bei den Muslimen keinen festgelegten Zeitpunkt für die Beschneidung gibt und sie meist zwischen dem 8. und 10. Lebensjahr vollzogen wird, erscheint es den Gläubigen gegenüber durchaus zumutbar, diese auf einen Zeitpunkt zu verschieben, an dem der Betroffene einwilligungsfähig ist.

Über alle religiösen und staatlichen Grenzen hinweg hat sich international eine Gegenbewegung zur rituellen Genitalbeschneidung bei Knaben entwickelt, die von der Mehrheit der AktivistInnen der FGM (Weibliche Genitalverstümmelung) ausdrücklich begrüßt und mitgetragen wird. Immer mehr beschnittene Männer trauen sich, über ihre Traumata zu sprechen. Einige nehmen sogar an langwierigen, mitunter durchaus schmerzhaften Programmen zur Wiederherstellung ihrer Vorhaut teil, obwohl die erogene Funktion der Vorhaut durch diese Maßnahmen nur teilweise wiederhergestellt werden kann.

Ein striktes Verbot ritueller Beschneidungen an Menschen ohne deren Einwilligung würde zugleich all jene Gruppierungen stärken, die offen für eine aufgeklärte, säkulare und tolerante Auslegung ihrer Religion eintreten.

Ergänzung:

Hier ist die Erklärung der Strafbarkeit. Eine Schwere Körperverletzung liegt hier nicht vor. Deshalb bitte folgendes Beachten:§ 230 Strafantrag
(1) Die vorsätzliche Körperverletzung nach § 223 und die fahrlässige Körperverletzung nach § 229 werden nur auf Antrag verfolgt, es sei denn, daß die Strafverfolgungsbehörde wegen des besonderen öffentlichen Interesses an der Strafverfolgung ein Einschreiten von Amts wegen für geboten hält.
 
 
UnterstützerInnen können hier unterzeichnen:
 
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2 Kommentare

  1. Lieber Jonathan,
    die ausführliche Diskussion zu diesem Thema findest Du im Wurzelwerk.
    An dieser Stelle nur eine Anmerkung. Du stellst anheim, dass ein nicht beschnittenes Kind in den Religionsgemeinschaften keine genau so wohlwollende Zugehörigkeit finden könne, wie ein beschnittenes und dass die Vermittlung religiöser Werte offenbar an der Beschneidung hinge.
    Ich denke, dass man keiner Religionsgemeinschaft und keinen Eltern ein so herzloses Verhältnis zu Kindern unterstellen kann und dass deshalb die Bedeutung der Beschneidung für das Verhältnis zwischen dem Kind und seinem unmittelbaren Umfeld einfach masslos überzeichnet wird.
    Ich halte es außerdem für vermessen, wenn immer wieder dargestellt wird, eine kritische Haltung zur Beschneidung würde es Juden und Moslems unmöglich machen, in Deutschland zu leben. Diese Diskussion wird selbst innerhalb der Religionsgemeinschaften und auch außerhalb von Deutschland geführt.
    Außerdem geht es letztlich nicht um “Religion” sondern um die in unserem Rechtstaat entwickelte Einsicht, dass Kinder selbst Träger unveräußerlicher Grundrechte sind, die nicht einfach weggewischt werden können. Tatsächlich würde eine Regelung, die die Beschneidung erst mit Eintritt der – gesetzlich definierten – Einwilligungsfähigkeit ermöglicht, gerade die freie Religionsausübung des Kindes erst ermöglichen und gleichzeitig dessen Recht auf Unversehrtheit schützen.
    Es ist Aufgabe einer Gesellschaft, das Wohl insbesondere der schwächsten Mitglieder im Auge zu behalten und nötigenfalls zu schützen. Eltern haben zwar die Personensorge. Diese ist allerdings genau an dem Wohl des Kindes gebunden und findet hier auch ihre Grenzen.
    Willst Du das zugunsten einer allmächtigen Verfügungsgewalt der Eltern aufweichen? Dann würde ich zurückfragen: Liegt es ausschließlich im Ermessen von Eltern über das “Wohl” ihrer Kinder zu bestimmen?
    Gruß
    Reinhard

    • Jonathan auf 25. September 2012 bei 11:04
    • Antworten

    Zu dem Antrag hätte ich eine Menge zu schreiben. Dies ist leider nicht der Raum für viele Worte, stattdessen möchte ich einige Fragen stellen:
    Wer, laut Antragsteller, soll eigentlich definieren, wann ein Mensch religionsmündig ist? Nach jüdischer Tradition wird ein Junge mit 13 religionsmündig. Andere Religionen mögen ein anderes Alter festgesetzt haben. Bedeutet das nicht eine rechtliche Ungleichbehandlung je nach religiöser Tradition?
    Was ist eigentlich mit dem Recht des Kindes, eine religiöse Erziehung zu erhalten? Was ist mit dem Recht des Kindes auf Geborgenheit, die ihm eine Religion und die Tradition der Eltern gibt?
    Was ist mit dem Recht des Kindes auf eine seelische Unversehrtheit, nicht das Gefühl zu haben, abgeschnitten von der Tradition seiner Eltern zu sein?
    Beinhaltet der Antrag den Vorschlag ein Zentralregister aller Beschnittenen zu schaffen, sozusagen eine Datei mit allen potentiellen Straftätern? Wie wäre es, alternativ den Betroffenen ein B für Beschnitten in den Ausweis zu stempeln?
    Wenn die Zirkumzision in Zukunft nur von Ärzten durchgeführt werden soll, wäre es nicht gerecht, auch die Geburt nur von Ärzten durchführen zu lassen und folglich den Hebammen dieses Recht zu verweigern? Sind Ärzte Alleskönner?
    Was ist die Intention der Antragsteller, die Zirkumzision beim Jungen mit der Genitalverstümmelung beim Mädchen direkt zu vergleichen?
    Soll die Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung die Aufgabe übertragen bekommen, Religion zu lehren? Was ist mit der Neutralität des Staates den Religionen gegenüber?
    Warum nennen die Antragsteller die Religionsvertreter nicht mit ihren Titeln, nämlich Rabbiner, Iman oder Theologe, wohingegen bei den Gegnern sehr wohl die Berufsgattungen genannt werden? Ist z.B. Rabbiner keine ernst zu nehmende Bezeichnung?
    Wer bestimmt, was Kindeswohl ist?
    Welche Mediziner sagen klar und deutlich, dass eine Zirkumzision ein gravierender Eingriff in die Unversehrtheit des Kindes darstellt? Wo sind die psychologischen Studien, dass die Zirkumzision Traumata verursacht? Können Befürchtungen ohne Nachweise Grundlage für staatliches Handeln sein? Wie kommen die Antragsteller zu der Zahl, dass 10% der Beschneidungen Komplikationen verursachen? Wer sagt, dass die negativen Auswirkungen einer Beschneidung unstrittig sind?
    Können die Antragsteller Zahlen für die wachsende Anzahl von jüdischen Familien nennen, die ihre Jungen nicht mehr beschneiden lassen?
    Haben sich die Antragsteller mit jüdischen Familien jemals unterhalten?
    Zum Schluss noch eine ganz persönliche Anmerkung: Ich lese gelegentlich Biographien von Juden aus der Zeit der Weimarer Republik. In manchen kommt das Gefühl zum Ausdruck, nicht recht dazuzugehören, politisch irgendwie heimatlos zu sein. Angesichts der aktuellen Diskussion um die Beschneidung lerne ich langsam zu verstehen, was es heißt, politisch heimatlos zu sein.

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